› Hoheslied - Liebeslyrik in der Bibel

1.0 Eine Ode an die Liebe

Was wäre ein gutes Buch ohne Romantik und Liebe? Die Bibel hat hier einen Superlativ zu bieten: das Hohelied oder das »Lied der Lieder, das schönste Lied«, wie das Buch in der wörtlichen Übersetzung heißt. Der Name »Hohelied« geht auf Luthers Wiedergabe des hebräischen Originals zurück. Es handelt sich um eine Sammlung von dreißig relativ kurzen Liebesliedern, die meist auf jüdischen Hochzeiten gesungen wurden und werden.

1.1 Entstehung und Ursprung

Mit ihrer Entstehung hat es eine ganz eigene Bewandtnis. Sie bildeten einen Gegenpol zu den Abschottungsbemühungen der Leviten und Propheten gegen die Freizügigkeit ihrer heidnischen Umwelt. Die Verfasser der hier gesammelten Liebeslieder waren offensichtlich unabhängige, gebildete Dichter mit einem freien Geist.
Ihre Haltung deckte sich mit der des Adels nach dem Exil, der die Liberalität einer international orientierten Kultur verrat. So ist es auch kaum verwunderlich, dass der zur Zeit der Zusammenstellung der Verse längst verstorbene König Salomo, die imperialste und höfischste Gestalt der jüdischen Geschichte, zum Namensgeber des Hohenliedes wurde.

1.2 Inhalt und Deutung

Der freizügige Umgang des Werkes mit dem Thema der körperlichen Liebe rief sowohl bei vielen jüdischen als auch später bei christlichen Theologen Befremdung und Irritation hervor. Sie versuchten daher, die konkreten Aussagen des Buches zur Sexualität auf eine symbolische Ebene umzudeuten. So hat das Hohelied eine abenteuerliche Auslegungsgeschichte. Relativ einfach erschließt sich der Sinn des Texts einer realistischen Lektüre. Mit all der poetischen Kraft der Sprache jener Zeit wird die Schönheit der menschlichen Liebe besungen.

Es handelt sich größtenteils um eine Wechselrede von Braut und Bräutigam im Versform, die vom Paar während eines Hochzeitsfests gesungen wurde. Dabei wird der Freude über Liebesspiel und Liebesgenuss sehr offenherzig Ausdruck verliehen: »Mit Küssen seines Mundes bedeckte er mich«, heißt es gleich zu Anfang. »Zieh mich her hinter dir! Lass uns eilen! Der König führt mich in seine Gemächer«.

1.3 König Salomo und das Hohelied

1.3.1 Das Brautpaar als Königspaar

Der letzte Vers nimmt Bezug auf die israelitischen Hochzeitsgebräuche. Die Hochzeit wurde damals mit einem rauschenden Fest sieben Tage lang gefeiert, daher sprach man von der Hochzeitswoche. Diese wurde auch Königswoche genannt, denn nach alter Sitte feierte man das Brautpaar in dieser Zeit als Königspaar. So meint die Dichtung den Bräutigam, wenn sie vom König spricht. Auf diese Weise fand Salomo Eingang in das Hohelied. Er war der prächtigste König, den die israelitische Geschichte kennt. Und so galt er auch als die ehrenvollste Versinnbildlichung des idealen Bräutigams: »Schaut, ihr Töchter Zions, König Salomo mit der Krone! Damit hat ihn seine Mutter gekrönt am Tage seiner Hochzeit, an dem Tag seiner Herzensfreude.«

1.3.2 Salomo und Sulamith

In der Dichtung hat Salomo ein weibliches Gegenstück mit Namen Sulamith. Manche Deutungen vermuteten hinter dieser Sulamith die schöne Abischag. Sie war das junge Mädchen, das zu dem hochbetagten König David geschickte wurde, um ihn auf seinem Lager zu wärmen. Sie kam aus der alten Stadt Schunem in der Ebene Jesreel. Ob sich der Begriff »Sulamith« tatsächlich auf eine Einwohnerin dieser Stadt bezog, bleibt reine Spekulation. Letztlich ist diese Frage für die Deutung des Hohenlieds nicht entscheidend. Denn Salomo und Sulamith sind nur ein Paar innerhalb des Buches, wenn auch ein zentrales und im Laufe der Jahrhunderte gern Zitiertes.

Als nicht ausgeschlossen gilt, dass diese Passage für die Hochzeit Salomos mit einer seiner zahlreichen fremdländischen Frauen gedichtet und später eingefügt wurde. Die anderen Gedichte handeln von namenlosen Liebespaaren.
Die Handlungsverläufe der verschiedenen Lieder bauen nicht aufeinander auf. Das lose Band, das sie miteinander verknüpft, ist nichts weiter als das Thema der Liebe. Die Geschichten variieren die immer gleichen Elemente von den Reizen der Braut und des Bräutigams aus der Sicht des Partners. Mehr noch als die Freuden des Beisammenseins besingen die Lieder die Sehnsucht der Liebenden in Phasen der Trennung.

2.0 Verbreitung und Bildersprache

Die Orte der Handlung weisen auf eine weite Verbreitung dieser Liebesgedichte hin. Einige entspringen offensichtlich einem ländlichen Umfeld, andere einem eher städtischen Milieu. Die Prägung durch eine agrarische Kultur ist jedoch in allen Liedern erkennbar, sie bedienen sich durchweg einer reichen Palette sprachlicher Bilder aus der Tier- und Pflanzenwelt.

2.1 Symbolische Interpretationen

Sowohl das orthodoxe Judentum als auch das frühe Christentum hatten mit dem sinnenfrohen Hohelied ihre Probleme. Daher versuchten beide Theologien, das Verhältnis der Liebenden in den Gedichten als Sinnbild für den Umgang Gottes mit seiner Braut Israel zu deuten. Dieser Metapher bedienen sich auch andere Stellen des Alten Testaments.
Die christliche Auslegung machte aus den Liebenden des Hohenlieds Christus zum Bräutigam und die Kirche zur Braut. Auch die seelischen Beziehungen des Einzelnen zu Christus wurden so gedeutet. Insbesondere im Mittelalter versuchte man, vom Hohelied eine Verkündigungsspur zur Marienverehrung zu legen.

3.0 Auf den Punkt gebracht

Das Hohelied ist ein frühes Zeugnis für einen religiös gebilligten unbefangenen natürlichen Umgang mit der geschlechtlichen Liebe. Wegen seiner poetischen Kraft und seiner Nähe zur prophetischen Literatur waren Deutungen im allegorischen Sinn stets beliebter als wörtliche Interpretationen.

Claudia Anreiter und Alexandra Veren (Mai 2003, 3AK)

Quelle: Christian Eckl, 50 Bibel-Klassiker, Die bekanntesten Geschichten des Alten Testamentes, Gerstenberg Verlag Hildesheim, 2001, S 250ff; Die Überschriften wurden eingefügt.