› Mahatma Gandhi - Prophet der Gewaltlosigkeit

1.0 Motto

»Als die Inder sich mit Schlagstöcken und Gewehrkolben zusammenschlagen ließen, ohne zu zucken, zeigte sich, dass England ohnmächtig und Indien unbesiegbar war. Die Schlussfolgerung war nur mehr eine Frage der Zeit.« (Louise Fischer, Gandhi – Prophet der Gewaltlosigkeit, München 1954, S 134)

1.1 Kindheit und Jugend Gandhis

Mohandas Karamchand wurde am 2. Oktober 1869 in Porbandar im Staat Gujarat in Indien geboren. Er war Sohn einer wohlhabenden Familie, die der Händlerkaste und damit der Gruppe der Kaufleute angehörte. Sein Vater nahm das Amt eines Premierministers im Fürstentum Rajkat ein. Beide Elternteile waren fromme Hindus. Mit dreizehn wurde Gandhi mit der gleichaltrigen Kasturbai Nakanji verheiratet. Kasturbai war, als indische Frau dieser Zeit, von ihrem Mann abhängig. Er hätte sie jederzeit auf die Straße setzen können, woraufhin sie von der Gesellschaft ausgeschlossen worden wäre. In diesem Bewusstsein behandelte Gandhi seine Ehefrau in den ersten Jahren. Rückblickend gestand er ein, dass seine Frau in diesem Zeitraum viel unter ihm zu leiden hatte. Der Tod des Vaters und des ersten Kindes waren einschneidende Erlebnisse für Gandhi.

1.2 Jusstudium und Beschäftigung mit den Religionen

Gandhi wollte in Großbritannien Jura studieren. Die Familie akzeptierte nach langem Zögern seinen Wunsch. Die Kaste war jedoch der Meinung, dass er im Ausland nicht »rein« leben könnte. Obwohl er ein Gelübde ablegte, in dem er sich verpflichtete, keusch zu leben und weder Fleisch noch Alkohol anzurühren, verbot ihm die Kaste die Reise ins Ausland.
Da sich Gandhi diesem Entschluss der Kaste widersetzte, wurde er aus ihr ausgeschlossen.

1888 begann er sein Studium in London. Daneben beschäftigte er sich ausgiebig mit dem Hinduismus, dem Islam und dem Christentum. Sein hinduistischer Glaube wurde dabei immer wichtiger für ihn. Dennoch erkannte er die anderen Religionen an. Besonders begeisterte ihn die Bergpredigt. Sie entsprach seinem Motto, Böses mit Gutem zu vergelten. Später hat sein Konzept des Satyagraha immer wieder mit den Prinzipien der Bergpredigt verglichen, um es besser erklären zu können.

1.3 Gandhis Weg nach Südafrika

Als Gandhi mit abgeschlossenem Studium nach Indien zurückkehrte, nahm ihn nur ein Teil der Kaste wieder auf. Offiziell war er weiterhin ausgeschlossen. Jedem, der ihn aufnahm, drohte ebenfalls der Ausschluss. Schnell musste er feststellen, dass er aufgrund seines Studiums im Ausland nicht die richtigen Beziehungen im Heimatland hatte. Ohne die Hilfe der Kaste war es schwer, eine Anwaltskanzlei aufzubauen. Zudem war er es gewöhnt gewesen, dass er als Bürger des britischen Empire betrachtet wurde. Die britischen Beamten in Indien betrachteten ihn jedoch nicht als ihresgleichen, weshalb es sehr bald auch zu Auseinandersetzungen zwischen den Beamten und Gandhi kam.

Auf dieser Basis konnte er keine Existenz gründen. Sein älterer Bruder musste den Unterhalt für ihn und seine Familie aufbringen. Als ein Geschäftsfreund des Bruders, ein reicher Kaufmann, ihm eine Stelle als beratender Anwalt seiner Gesellschaft in Südafrika anbot, nahm er daher sofort an. Er reiste 1893 ohne seine Familie nach Südafrika.

1.4 Diskriminierungen

In Südafrika erfuhr Gandhi das erste Mal Diskriminierung von Seiten der Weißen gegenüber der ethnischen Minderheit der Inder. Beispiele für Diskriminierungen, die Gandhi ertragen musste, gibt es genügend. Er wurde beim Friseur nicht bedient, durfte im Gerichtssaal keinen Turban tragen und nach 21:00 Uhr nicht mehr ohne Genehmigung des Arbeitgebers das Haus verlassen. Und das alles nur, weil er Inder war. Er besaß nur aufgrund seiner Hautfarbe und seiner Religion nicht die gleichen Rechte wie die Weißen.

Eine besonders massive Ungleichbehandlung wurde den Indern in den öffentlichen Verkehrsmitteln zuteil. So stammt das bekannteste Beispiel für Diskriminierung, das Gandhi erfuhr, von einer Geschäftsreise, die er im Zug antrat. Während der Fahrt stieg ein weißer Mitreisender zu. Er wollte das Abteil nicht mit Gandhi teilen. Der Schaffner wollte Gandhi trotz gültiger Fahrkarte für die erste Klasse in das Gepäckwagenabteil schicken. Als Gandhi sich wehrte, wurde er aus dem Zug geworfen.

Nachdem Gandhi geschäftlich erfolgreich agierte und sich in der indischen Gemeinde behaupten konnte, wurde er selbstbewusster und versuchte, die indische Gemeinde zu organisieren. Es wurden regelmäßige Treffen organisiert. Gandhi hielt seine ersten Reden vor Publikum. Sein Hauptziel war das Ende der Diskriminierung der Inder. Deshalb versuchte er als erstes, die Inder dazu zu bewegen, sich ordentlich zu kleiden und mehr auf Hygiene zu achten. Er war überzeugt, dass dadurch das Bild, das die Briten von den Indern hatten verändert werden könnte und die Inder als gleichberechtigt angesehen werden würden.

1.5 Rückkehr nach Indien

1896 kehrte er nach Indien zurück. Er verfasste Schriften über die Lage der Inder in Südafrika, die auch international Gehör fanden. Unter anderem kritisierte er darin die »Dreipfundsteuer«, die indische Kontraktarbeiter an ihren Arbeitgeber band. Er bereiste sein Heimatland und traf sich mit den politischen Führern Indiens. Ein wichtiger Freund und Unterstützer wurde ihm dabei Gokhale, der Mitglied des INC war. Als er Ende des Jahres gebeten wurde, wieder nach Südafrika zu kommen, reiste er sofort mit seiner Familie ab.

1.6 Wieder in Südafrika

Die Schriften, die Gandhi über die Lage der indischen Mindeheit in Südafrika verfasst hatte, wurden dort als Volksaufhetzung verstanden. Es wurde die Angst vor einer Revolution und einer Unterwanderung der Gesellschaft durch die Inder geschürt. Als Gandhi mit vielen indischen Mitreisenden auf einem Dampfer in Natal ankam, wurde er an der Einreise gehindert. Da an Bord angeblich die Pest ausgebrochen sei, wurde es 23 Tage lang unter Quarantäne gestellt. Als er endlich das Schiff verlassen durfte, wurde er von einem aufgebrachten Mob Weißer fast gelyncht. Nur das Eingreifen des Polizeipräsidenten und seiner Frau konnten Gandhi vor dem Tod bewahren. Dennoch ließ Gandhi von einer Verfolgung der Täter ab. Das erste Mal fand sein Vorsatz, niemanden zu hassen und alles zu erleiden, Anwendung.

Er ließ sich als Anwalt nieder und kämpfte weiter für die Rechte der Inder. Doch auch außerhalb des Gerichtes setzte er sich für seine Mitmenschen ein. Er gab den Indern Südafrikas in Form der Zeitschrift »Indien Opinion« ab 1904 eine Stimme. Der Dienst an seinem Volk und seinen Mitmenschen, wurde ebenso wie völlige Enthaltsamkeit zu seinem Grundsatz. Als die Beulenpest unter indischen Arbeitern ausbrach, leistete er aufopfernde Hilfe.

Während des Burenkrieges von 1899 und des Zulu-Aufstandes 1906 bewegte er die indische Bevölkerungsgruppe dazu, sich auf Seite der Briten in den Krieg zu begeben. Diese ließen Inder jedoch nur im Sanitätsdienst zu. Gandhi selbst leistete Sanitätsdienst und sah dies als seine Bürgerpflicht an. Wer seine Rechte einfordere, müsse auch seine Pflichten erfüllen. Gandhi hoffte durch dieses kooperative Verhalten das Wohlwollen der Briten und eine Verbesserung der Rechte der Inder in Südafrika zu erzielen.

1.7 Politische Aktionen in Südafrika

1.7.1 Verbrennung von Meldescheinen

Diese Hoffnung war trügerisch. Bereits 1907 wurde ein Registrierungsgesetz beschlossen. Alle Inder sollten sich mit einem Fingerabdruck registrieren lassen, woraufhin sie eine Nummer und einen Meldeschein bekommen sollten. Diesen Meldeschein hätten sie immer bei sich tragen sollen. Ohne Meldeschein wurde die Einreise nach Transvaal, das eine eigene von Buren beherrschte Regierung hatte, nicht mehr genehmigt.

Gandhi ließ sich nicht registrieren. Die meisten Inder folgten seinem Beispiel. Er wurde zu zwei Monaten Haft verurteilt.
Er wandte sich an General Smuts und verlangte, das Gesetz nicht zu verabschieden. Im Gegenzug würden sich alle Inder freiwillig registrieren lassen. Als Vorbild ließ Gandhi sich registrieren, obwohl ihn Landsleute durch Gewalt daran hindern wollten. Die Mehrheit der Inder folgte ihm auch in diesem Punkt. Das Gesetz wurden dessen ungeachtet verabschiedet. Dieser Schritt löste die erste große Satyagraha-Kampagne aus, in der über 2000 Meldescheine verbrannt wurden.

1.7.2 Kampf um die Anerkennung indischer Ehen

Als 1913 alle nicht-christlichen Ehen, die nicht vor einem Standesbeamten in Südafrika geschlossen wurden, für nichtig erklärt wurden, spitzte sich die Situation zu. Alle indischen Ehen wurden nicht anerkannt. Für die Inder bedeutete das eine große Verletzung der Ehre, da die Ehefrauen nun den Status einer Geliebten hatten. Zudem waren die Kinder nicht mehr erbberechtigt. Aus diesen Gründen schlossen sich die Frauen und die Kontraktarbeiter Gandhi an. Die Bergarbeiter streikten. Gandhi startete erneut eine Satyagraha-Kampagne. Seine Satyagrahis von der Tolstoifarm, darunter auch Kasturbai, sollten ohne Papiere die Grenze zwischen Natal und Transvaal überqueren und sich verhaften lassen. Wie vorausgesehen wurden die Grenzgänger verhaftet und zum Teil zu Zwangsarbeit verurteilt. Für einige Satyagrahis bedeutete die Inhaftierung aufgrund der schlechten Bedingungen den Tod. Bald wurden die Gefängnisse voll. Aus den streikenden Bergarbeitern und ihren Familien bildete Gandhi in Newcastle in Natal eine »Friedensarmee« von rund 5000 Menschen. Er kündigte der Regierung an, dass er mit dieser Friedensarmee ebenfalls die Grenze überschreiten wolle. Ziel des Marsches sollte die Tolstoifarm in Transvaal sein. Auf dem Weg wurden Gandhi und seine engsten Mitarbeiter verhaftet. Dennoch konnte der Zug nicht aufgehalten werden. Es kam zu massenhaften Verhaftungen. Die Gefängnisse quollen über, die Kosten für die Inhaftierten waren enorm und die Stillegung der Bergwerke verursachte Gewinneinbußen.

1.7.3 Weitere Entwicklungen

Zunehmend schlossen sich auch die Arbeiter anderer Gegenden dem Streik an. Aus Indien kam geistige und finanzielle Unterstützung. Die Briten und Buren reagierten mit Gewalt. Eine Untersuchungskommission, die die Vorfälle beurteilen sollte, wurde zuerst sehr »briten-freundlich« besetzt. Die Lage der Inder veränderte sich zunächst nicht. Gandhi wollte den Streik auf weitere Teile der indischen Bevölkerung ausdehnen, ließ jedoch davon ab, als die Regierung in Bedrängnis geriet, da die Eisenbahner streikten. Gandhi hätte der Regierung durch einen ausgeweiteten Streik großen Schaden zufügen können. Doch das war nicht sein Ziel. Er wollte dem Gegner auf keinen Fall Schaden zufügen, sondern nur für die eigenen Rechte kämpfen.

Nach einem Zwischenaufenthalt in Großbritannien, bei dem Gandhi die dort lebenden Inder dazu aufrief, sich auf Seiten der Briten im ersten Weltkrieg zu beteiligen, kehrt er 1914 in seine Heimat Indien zurück.

2.0 Ein neuer Anfang in Indien

1914 kehrte Gandhi nach Indien zurück. Seine Familie und die Bewohner der Farmen begleiteten ihn. Um das Leben in der Gemeinschaft auf den Farmen weiterführen zu können, baute er mit seinem Gefolge ein Ashram auf. In diese Gemeinschaft nahm Gandhi auch Kastenlose auf. In Indien war Gandhi in der Zwischenzeit zu einer Berühmtheit geworden. Im Volk wurde er Mahatma – große Seele – genannt. Das Land, in das er zurückkehrte, war von den Briten besetzt. Im Volk herrschte keine Einigkeit zwischen Hindus und Muslimen. Die verschiedenen sozialen Schichten hatten ebenso wenig Berührungspunkte. Land und Volk wurden von den Briten ausgebeutet.

2.1 Einsatz für die Indigobauern in Champaran

Seine ersten Aktionen in Indien führten Gandhi 1917 nach Champaran in Nord-Bihar am Fuße des Himalaja. Bauern hatten ihn um Hilfe gebeten. Die Pächter wurden nach dem Tinkathia-System gezwungen, drei von zwanzig Teilen ihres Landes für den Grundherrn mit Indigo zu bepflanzen. Sie besaßen nicht das Recht, über das von ihnen gepachtete Land selbst zu bestimmen. Gandhi sollte sehen, unter welchen Qualen sie Indigo anbauten und verarbeiteten. Aus einem eintägigen Besuch wurden Monate. Gandhi führte eine Untersuchung durch, die zur Folge hatte, dass die Pächter einen Teil ihrer bereits gezahlten Abgaben zurückerhielten und das System abgeschafft wurde. Sein Wirken reichte jedoch tiefer. Er setzte sich für Bildungsmaßnahmen und verbesserte gesundheitliche Versorgung der Bauern ein, da sie nur so ihre Lage verbessern konnten. Gandhi wurde wie schon in Südafrika in seiner Arbeit behindert. Doch selbst Gefängnisaufenthalte konnten ihn nicht schrecken.

Verstieß er bewusst gegen ein Gesetz, bekannte er sich schuldig im Sinne des Gesetzes (nicht in seinem Sinne) und nahm seine Strafe an. Dadurch hatten die Briten große Probleme. Wäre Gandhi gewalttätig oder flüchtig gewesen, hätten sie härter gegen ihn vorgehen können. So stand die (internationale) Öffentlichkeit auf der Seite Gandhis und die Briten behandelten ihn eher milde.

2.2 Der Generalstreik

Die Behandlung der Inder, die als politisch engagiert angesehen wurden, änderte sich jedoch bald. Im Rahmen der Montford-Reformen sollte den Indern 1918 in den Provinzen eine Beteiligung an der Regierung eingeräumt werden. Die Durchsetzung verzögerte sich jedoch. Unruhen in der Bevölkerung kamen auf. Die Briten hatten Angst, sie könnten den über drei Millionen Indern nicht mehr Herr werden. Nach Unruhen in Bengalen wurden die Rowlettgesetze, nach ihrem Erfinder Richter Rowlett benannt, diskutiert. Sie sahen vor, das Kriegsrecht einzuführen. Nach diesen Gesetzen hätten u.a. Verdächtige ohne Prozess eingesperrt werden dürfen. Rechtstaatlichkeit wäre nicht mehr gegeben gewesen. Die Inder wären auf der Basis von Gesetzen der völligen Willkür der Briten ausgeliefert gewesen. Gandhi warb 1919 für eine Satyagraha-Kampagne gegen diese Gesetze.

2.3 Das Massaker von Amritsar

Bei einer friedlichen Versammlung von 2000 Indern auf einem Platz in Amritsar am 13. April 1919 besetzte die britische Armee den einzigen Ausweg und feuerte wahllos in die Menge. Dabei wurden 400 Menschen getötet und etliche weitere verletzt. Der General, der die Truppe angeführt hatte, sagte in der folgenden Untersuchung des Massakers aus, er habe alle Menschen auf dem Platz töten wollen. Es wurde ihm nahegelegt, den Dienst zu quittieren, was er auch tat. Eine weitere Bestrafung erfolgte nicht. Ganz Indien war erschüttert von dem Massaker von Amritsar.

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