4.0 Inneres Beten konkret
Wer das innere Beten kennenlernen möchte, muss es tun, um
zu wissen, was es ist. Erst dann werden auch die Schriften über
das innere Beten eine Hilfe sein. Sie zu lesen ist dann wie ein
Gespräch zwischen »Praktikern«, ein Austausch mit
Menschen, die bereits mehr Erfahrung auf diesem Weg gesammelt haben.
4.1 »...wie geht das?«
Was ist inneres Beten konkret? Was geschieht in einem Menschen,
wenn er innerlich betet? »Inneres Beten ist etwas ganz einfaches.
Jeder kann es. Es ist ein Weg, der so leicht und so selbstverständlich
ist, dass die Luft, die man atmet, nicht selbstverständlicher
ist,« (Madame Guyon) nur begonnen – oder wiederentdeckt
– muss er werden:
· Ich versuche, mich einen Augenblick zu sammeln, und denke daran,
dass Gott da ist - wenn auch der Wahrnehmung verborgen; dass er
um mich herum ist, über mir, unter mir, in mir drin wie die
Luft, die mich umgibt, die mich durchströmt und die mich am
Leben erhält. Ich »vergegenwärtige« mir, dass
Gott Wirklichkeit ist. Ich mache mir bewusst, dass der Gott, den
ich für wahr halte, an den ich glaube, nach dem ich suche,
über den ich nachdenke, so wirklich gegenwärtig ist wie
jede andere anwesende Person.
· Dann rede ich Gott an, ich sage »du« zu Gott, den
ich freilich nur »ahnen« kann. Wie von selbst sagt dann
nicht nur der Verstand das »du«. Inwendige Tiefenbereiche
»sprechen« mit.
· Aus dem »Du«-Sagen wird eine stille Zuwendung von
Wesen zu Wesen, ein »Sich-Zublicken«, ein »Entgegen-Warten«
zu dem grossen Geheimnis hin, das mich und alle Existenz umfängt,
zu diesem Gott von unfassbarer Grösse und Weite, so verborgen
und so nahe zugleich.
Eine einfache »Übung« kann hier sehr hilfreich
sein. Ich schließe die Augen und sage ganz bewusst den Satz:
»Ich glaube an Gott«. Ich horche in den Sinn dieses
Satzes hinein. Näher betrachtet drücke ich damit aus,
dass ich eine religiöse Weltanschauung habe, ich bekenne mich
damit zu einer »Glaubensüberzeugung«, zu einer
bestimmten Welt- und Lebensdeutung, nicht weniger, aber auch nicht
mehr. - Ich wiederhole diesen Satz noch einmal und füge einen
zweiten hinzu, den ich nun ebenso bewusst spreche: »Ich glaube
an dich, Gott«. Wieder gehe ich mit diesen Worten mit, versuche,
das »an dich, Gott« wirklich zu meinen. - Was dabei
in mir geschieht, was ich dabei »tue«, was dabei den
Unterschied vom ersten zum zweiten Satz ausmacht - das ist inneres
Beten!
4.2 Eine neue Art zu leben
Übt man sich – nicht nur während besonderer Gebetszeiten,
sondern so oft man daran denkt – in dieser »Vergegenwärtigung
Gottes«, verändert sich das ganze Lebensgefühl.
Man bekommt für alles einen tieferen Blick. Verstand und Vernunft
bekommen Weite und lernen das Staunen. Vom »Seelen-Grund«
her kann sich die Erfahrung von Sehnsucht und Hingezogenheit zu
Gott einstellen. Die Worte der Hl. Schrift beginnen plötzlich
zu sprechen. Über die Zusammenhänge des Lebens gehen einem
die Augen auf. Glaube wird eine Lebensweise. Aus einer mehr oder
weniger festen, rein weltanschaulichen Überzeugung wird etwas
Lebendiges: eine konkrete, persönliche Konfrontation mit dem
Urgeheimnis, zu dem ich mit Jesus »Abba - lieber Vater«
sagen darf.
Gott ist da, er ist ständig anwesend – sich dies bewusst
machen und mit dieser Tatsache wie mit einer »guten Gewohnheit«
leben, das ist »glauben«. Inneres Beten braucht ausdrückliche
Gebetszeiten, lässt sich darauf aber nicht einschränken:
Der vertraute und vertrauensvolle Umgang mit Gott ist auch »zwischen
den Kochtöpfen« (Teresa von Avila) möglich und kann
zum »immerwährenden Beten« und zum Weg der Freundschaft
mit Gott werden. Wer in Gott einen Freund und Weggefährten
sehen kann, findet wie von selbst dahin, dass das auch noch so gewöhnliche
Tagewerk nicht nur vom Gebet umrahmt, sondern auch mit Gott gestaltet
sein will. Gott ist in der »Küche« ebenso gegenwärtig
wie im »Gebetswinkel« oder in der Kirche. Ich verweile
bei ihm in den Zeiten des Gebets und ich gehe mit ihm an die Arbeit,
treffe meine Entscheidungen mit ihm, lache mit ihm und weine mit
ihm.
5.0 Texte geistlicher Meister
5.1 In Gottes Gegenwart sein
»Die heiligste und wichtigste Übung im geistlichen Leben
ist der Gedanke an die Gegenwart Gottes. Sie besteht darin, dass
man sich angewöhnt, gern in Gesellschaft mit ihm zu sein, dabei
in Ehrlichkeit zu ihm zu sprechen und liebevoll bei ihm zu verweilen,
ohne auf ein bestimmtes Gebetspensum achten zu müssen. Es ist
ein großer Irrtum zu glauben, die Zeiten des Gebetes müssten
sich von den übrigen Zeiten unterscheiden. Nein. Es ist uns
aufgegeben, in der Zeit der Arbeit mit der Arbeit bei Gott zu sein
und zur Zeit des Gebetes mit dem Gebet. Wir müssen selbst wenn
wir lesen oder schreiben ab und zu, so oft wir können, einen
kleinen Augenblick innehalten, um uns im Grunde unseres Herzens
Gott zuzuwenden, uns seiner – ganz geheim, wie im Vorübergehen
– zu vergewissern.« (Bruder Lorenz von der Auferstehung,
Geistliche Weisungen 6ff.)
5.2 Wie eine brennende Kerze in einer dunklen Kammer
»Der fruchtbarste Weg besteht meiner Erfahrung nach darin,
sich ein einfaches Gebet, einen Satz oder auch nur ein Wort auszuwählen
und es langsam zu wiederholen. Besonders geeignet sind das Vaterunser,
das Jesus-Gebet (»Jesus, Christus, Sohn Gottes, erbarme dich
meiner«), der Name Jesus oder ein anderes Wort, das uns an
die Liebe Gottes erinnert und sie in die Mitte unseres inneren Raumes
stellt wie eine brennende Kerze in eine dunkle Kammer. Wahrscheinlich
werden wir dabei ständig abgelenkt werden. Es wird uns durch
den Kopf gehen, was gestern passiert ist, und wir werden uns Gedanken
darüber machen, was morgen geschehen mag. Wir werden in unserer
Fantasie lange Diskussionen mit Freund oder Feind führen, werden
Pläne für den kommenden Tag schmieden, ein bevorstehendes
Gespräch entwerfen. Doch solange wir darauf achten, dass die
Kerze in unserer dunklen Kammer nicht erlischt, können wir
uns immer wieder dieses Licht zunutze machen und die Gegenwart dessen
klar erkennen, der uns das anbietet, wonach wir am meisten verlangen.
Dies mag nicht immer eine befriedigende Erfahrung sein. Oft sind
wir so mit uns beschäftigt und so wenig in der Lage, innere
Ruhe zu finden, dass wir es gar nicht erwarten können, uns
wieder in das Getriebe zu stürzen und damit der Konfrontation
mit dem chaotischen Zustand unseres Herzens und unseres Sinnes aus
dem Wege zu gehen. Doch wenn wir unserer Übung treu bleiben,
auch wenn es täglich nur zehn Minuten sein sollten, werden
wir nach und nach – durch das Kerzenlicht unseres Betens –
erkennen, dass es in uns einen Ort gibt, an dem Gott wohnt und an
dem wir eingeladen sind, mit Gott zusammen zu wohnen. Eines Tages
werden wir diesen inneren, heiligen Ort als den schönsten und
kostbarsten ansehen, den wir aufsuchen können, um hier zu verweilen
und geistlich gestärkt zu werden.« (Henri Nouwen, Was
mir am Herzen liegt, 16-18)
5.3 Den Geist erheben und auf Gott ausrichten
»Bei vielen Seelen ist es nämlich so: Ihr Gebet besteht
mehr aus Worten denn aus Liebe. Sie scheinen ihr Gebet auf das mündliche
Hersagen zu begrenzen; damit ist es aber nicht getan, und lassen
sie es dabei bewenden, dann erzielen sie wenig Frucht. Fragst du
Mich (Gott) aber: Soll man es also lassen, da doch nur wenige zum
inneren Gebet hingezogen scheinen, so erwidere Ich dir: Keineswegs.
Die Seele soll, um nicht dem Müßiggang zu verfallen,
das mündliche Gebet pflegen, solange sie unvollkommen ist,
aber nicht ohne gleichzeitig nach dem inneren zu streben. Während
sie betet, soll sie den Geist zu Mir erheben und auf Meine Liebe
ausrichten (...). Nicht durch viele Worte gelangt einer zum vollkommenen
Gebet, sondern durch liebende Sehnsucht.« (Katharina von Siena,
Gespräch von Gottes Vorsehung, 80-83)
5.4 Wie ein Kind in den Armen seiner Mutter
»Du musst Dir, so wie ich, im Inneren Deiner Seele eine kleine
Zelle bauen. Du denkst dann, dass der liebe Gott darin zugegen ist,
und betrittst sie von Zeit zu Zeit. Wenn Du Deine Nerven spürst
oder Dich unglücklich fühlst, so flüchte Du Dich
rasch dahin und vertraue dem Meister alles an. Ach, wenn Du nur
eine geringe Kenntnis vom richtigen Beten hättest, dann würdest
Du es nicht langweilig finden. Mir kommt es vor wie ein Ausruhen,
eine Entspannung. Man begibt sich einfach zu dem, den man liebt.
Man hält sich ganz in seiner Nähe auf, wie ein Kind in
den Armen seiner Mutter, und lässt dann seinem Herzen freien
Lauf. Du hast Dich früher immer so gerne neben mich gesetzt,
um mir Deine Geheimnisse anzuvertrauen. Auf die gleiche Weise muss
man zu ihm gehen. Wenn Du nur wüsstest, wie gut er versteht!
Du würdest nicht mehr so leiden, wenn Du dies begreifen könntest.
Lieben Sie stets das Gebet; und wenn ich sage ›Gebet‹,
so meine ich damit nicht so sehr, dass Sie sich täglich eine
Menge mündlicher Gebete vornehmen sollen, sondern ich meine
die Erhebung der Seele zu Gott bei allem.« (Elisabeth von
Dijon, Briefe 123 und 252)
5.5 In Gesellschaft des Freundes leben
»Ach, ihr Schwestern, die ihr große Verstandesanstrengungen
nicht fertig bringt, die ihr keinen Gedanken fassen könnt,
ohne gleich wieder zerstreut zu sein, gewöhnt euch doch an,
in seiner Gesellschaft zu leben! Seht, ich weiß, dass ihr
das könnt, weil ich ja selber viele Jahre darunter gelitten
habe, dass ich mit den Gedanken nicht bei einer Sache bleiben konnte.
Ich weiß aber auch, dass der Herr uns in solcher Trostlosigkeit
zu Hilfe kommt und dass er uns nicht abweist, wenn wir uns an ihn
wenden und ihn demütig bitten. Und wenn wir es in einem Jahr
nicht schaffen, da herauszukommen, so eben in mehreren.
Ich meine, dass wir es uns durchaus zur Gewohnheit machen können,
uns darum zu bemühen, in Gesellschaft dieses echten Freundes
unseren Weg zu gehen. Ich bitte euch nicht, dass ihr euch auf ihn
konzentriert, dass ihr große Gedankengänge entwickelt
und mit eurem Verstand hohe und scharfsinnige Betrachtungen haltet.
Ich bitte euch nur um das eine, dass ihr ihn anschaut.
Wer hindert euch daran, die Augen der Seele auf den Herrn zu richten
- und sei es nur um das eine, dass ihr ihn anschaut. Sehr hässliche
Dinge anschauen, das könnt ihr, und das Schönste, das
man sich überhaupt vorstellen kann, das könnt ihr nicht
anschauen? In dem Maß, als ihr nach seiner Gegenwart verlangt,
werdet ihr sie finden. Dass wir unseren Blick auf ihn richten, bedeutet
ihm so viel, dass er es von seiner Seite her an Aufmerksamkeit nicht
fehlen lassen wird.« (Theresa von Avila, Weg der Vollkommenheit,
26)
5.6 Liebevolle Aufmerksamkeit
»So möge der spirituelle Mensch lernen, bei Gott in
liebendem Aufmerken zu verweilen, mit beruhigtem Verstand, auch
wenn es ihm vorkommt, als täte er nichts, denn so wird nach
und nach, aber sehr schnell mit wunderbaren und erhabenen und von
göttlicher Liebe umschlossenen Einsichten Gottes die Ruhe und
der Frieden Gottes in seine Seele eingegossen.« (Johannes
vom Kreuz, Aufstieg zum Berg Karmel II 12,5)
5.7 Anstatt eines Nachwortes
»Das sollten die ach so ›Aktiven‹ bedenken, die
mit ihrem Gepredige und ihrem ganzen äusserlichen Gewerkel
der Welt zu dienen meinen. Sie sollten daran denken, dass sie viel
mehr nützten und Gott viel mehr Freude bereiteten, wenn sie
wenigstens einen geringen Teil der dafür verwendeten Zeit betend
mit Gott verbringen würden, selbst wenn ihr Gebet noch sehr
armselig wäre. Der Zuwachs an geistiger Kraft, den sie darin
geschenkt bekämen, würde sie befähigen, mit einer
einzelnen Aktion mehr und mit weniger Verausgabung ihrer Kräfte
zu bewirken als mit ihren tausend anderen. Was sie tun, heißt
sich abplagen und doch so gut wie nichts, mitunter überhaupt
nichts zustande zu bringen, wenn nicht gar Schaden zu machen. Gott
bewahre uns davor, dass das Salz zu verderben beginnt. Was dann
auch immer einer nach außen hin zu leisten scheint - auf den
Kern geschaut, wird es nichts sein. Denn die guten Werke werden
nicht anders als aus der Kraft, die einem von Gott kommt, getan.
Oh, wieviel ließe sich darüber schreiben!« (Johannes
vom Kreuz, Der Geistliche Gesang 28,3)
Vgl.: Reinhard Körner, Was ist inneres Beten?, Münsterschwarzacher
Kleinschriften 116, Vier-Türme-Verlag, 1999.
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