Frankl - Lebenssinn als Therapie
1.0 Biographie und Werdegang Viktor Frankls
Viktor Emil Frankl wurde am 26.März 1905 im 2. Wiener Gemeindebezirk
geboren. Am 2. September 1997 hat sich sein irdisches Dasein erfüllt
und die Welt den großen Begründer der Logotherapie und
Existenzanalyse zu betrauern.
Viktor Frankl wuchs mit seinem Bruder Walter und seiner Schwester
Stella als Sohn eines Staatsbeamten im Wien des beginnenden 20.
Jahrhunderts auf. Sein Vater war streng aber in höchstem Maße
gerecht, während die Mutter für Viktor Frankl »ein
seelensguter und herzensfrommer Mensch« war. Sie stammte aus
Prag und der Vater aus Südmähren.
1.1 Schulzeit - Frühe Korrespondenz mit Sigmund Freud
Die Schulzeit Frankls war schon geprägt von seinem Interesse
für die Psychologie und die Psychoanalyse. Bereits mit 15 Jahren
korrespondierte der junge Viktor Frankl mit Sigmund Freud und dieser
ließ kaum 72 Stunden vergehen, um zu antworten. So erschien
auch die erste Publikation Frankl‘s 1924 in der »Internationalen
Zeitschrift für Psychoanalyse« auf ausdrückliche
Empfehlung von Sigmund Freud.
1.2 Erste Veröffentlichungen
Um diese Zeit war Frankl, nunmehr Student der Medizin, bereits
in den Kreis von Alfred Adler gekommen und publizierte 1925 in der
»Internationalen Zeitschrift für Individualpsychologie«
die Arbeit: »Psychotherapie und Weltanschauung«.
Er gründete eine Zeitschrift zur Verbreitung der Individualpsychologie,
»Der Mensch im Alltag«, die er bis zu seiner Lösung
von Alfred Adler leitete, der Frankl 1927 wegen Unorthodoxie aus
dem Verein für Individualpsychologie ausschloß.
1.3 Der geistigen Dimension des Menschseins auf der Spur
Frankl hatte zu dieser Zeit schon viele Vorträge im In- und
Ausland gehalten, die sich immer mehr mit der geistigen Dimension
– dem Noos – des menschlichen Daseins beschäftigten
und nicht zuletzt mit der großen Frage des Menschen nach dem
Sinn – dem Sinn im Leben – der immer ein anderer ist
für jeden Menschen gemäß dessen Einzigartigkeit
und Einmaligkeit. Er gründete im Gefolge der Lebensmüdenberatungsstellen
von Wilhelm Börner die erste Jugendberatungsstelle, die bald
Nachahmung in weiten Teilen Europas fand. Dabei lernte er Prof.
Otto Pötzl kennen, der die Universitätsklinik für
Psychiatrie in Wien von 1928-1945 als Nachfolger von Wagner-Jauregg
leitete.
1.4 Erfahrungen und Publikationen als Psychotherapeut
Pötzl, der später zum väterlichen Freund Frankls
wurde, ließ den jungen Mediziner – noch vor Abschluß
des Studiums 1930 – an seiner Klinik psychotherapeutisch arbeiten
und die ersten Schritte in seine eigene Psychotherapieschule machen.
Frankl arbeitete als Arzt am Neurologischen Krankenhaus Rosenhügel
und am Maria Theresien Schlössel unter Josef Gerstmann, wirkte
von 1933-1937 am »Steinhof«, dem Psychiatrischen Krankenhaus
Baumgartner Höhe in Wien.
Er beschrieb sowohl das nach ihm
benannte »Corrugator-Phänomen« bei Schizophrenieverdacht
(1935) als auch die Wichtigkeit der »medikamentösen Unterstützung
der Psychotherapie« (1939). Zu diesen Themen suchte er auch
noch in den vergangenen Jahren aktuelle Anknüpfungen und Diskussionen.
Bereits 1938 publizierte er eine Arbeit, in der die Logotherapie
und die Existenzanalyse als ihre anthropologische Grundlage beschrieben
werden (»Zur geistigen Problematik der Psychotherapie«).
1.5 Verlust der Familie durch das Nazi-Regime
Nach dem Einmarsch der Nazis in Österreich durfte der Facharzt
für Psychiatrie und Neurologie nur mehr eingeschränkt
arbeiten und wurde 1940 Primarius der Neurologie am Rothschildspital,
dem letzten jüdischen Spital in Wien. Durch seine Arbeit erhielten
auch seine Eltern Deportationsschutz bis zum Jahre 1942, als Frankl,
seine erste Frau Tilly und die Eltern in die Konzentrationslager
Theresienstadt, Auschwitz und Filiallager von Dachau deportiert
wurden. Frankl alleine überlebte die Lager. Frankls Schwester
Stella war rechtzeitig nach Australien ausgewandert. Um seinen Eltern
den Deportationsschutz bieten zu können hatte Frankl ein bereits
vorhandenes Visum nach Amerika verfallen lassen.
1.6 Konzeption von Schlüsselwerken
Nach Kriegsende kehrte Frankl noch im Jahr 1945 nach Wien zurück
und versuchte sich mit Arbeit über den erlittenen Verlust seiner
Familienangehörigen hinüberzuretten. Er begann die Neufassung
seines grundlegenden Buches »Ärztliche Seelsorge«,
deren Manuskript in einen Mantel eingenäht in Auschwitz verlorengegangen
war. In 9 Tagen schrieb er die Erlebnisse im KZ aus der Sicht des
Psychologen nieder (»...trotzdem Ja zum Leben sagen«)
und zudem in 9 Stunden eine »Metaphysische Conference: Synchronisation
in Birkenwald«, die Philosophie auf höchstem Niveau darstellt.
1.7 Weitere akademische Etappen
Nach dem 2. Weltkrieg erwarb er sein zweites Doktorat – für
Philosophie – und habilitierte sich 1949 an der Universität
Wien. Frankl wirkte von 1946-1970 als Primarius der Neurologie der
Wiener Poliklinik. Er wurde außerordentlicher Universitätsprofessor
in Wien - erhielt aber Professuren unter anderem an den Universitäten
von Harvard und Stanford sowie an vielen anderen Universitäten
der Welt. Noch Tage vor seinem Tode erhielt Viktor Frankl sein 29.
Ehrendoktorat (Universität Ohio, USA).
1.8 Internationale Anerkennung
Von den Ehrungen, die Frankl aus aller Welt zugedacht wurden, sei
die Verleihung des »Großen Goldenen Ehrenzeiches mit
dem Stern für Verdienste um die Republik Österreich«
durch Bundespräsident Klestil anläßlich seines 90.
Geburtstags im März 1995 genannt. Die Akademie der Wissenschaften
hatte Frankl zu Ihrem Ehrenmitglied ernannt. Er ist damit neben
Kardinal Dr. Franz König , das zweite Ehrenmitglied der Gesamtakademie.
Die Polnische Akademie der Wissenschaften zeichnete den Ehrenbürger
Wiens im Juni mit der goldenen »Medicus Magnus« Medaille
sowie dem »Internationalen Goldenen Stern« für
Verdienste um die Menschheit aus.
1.9 Bilanz seines Schaffens
Frankl‘s wissenschaftliches Wirken äußert sich
in 32 Büchern die in mehr als 25 Sprachen übersetzt wurden.Sein
Buch »Man‘s search for meaning« wurde in den USA
von der Library of Congress zu einem der 10 einflußreichsten
Bücher gewählt. Sein Werk wird weiterhin vom »Viktor
Frankl Institut« Wien bewahrt und fortgeführt und seine
Lehre in Österreich vom »ABILE« (Ausbildungsinstitut
für Logotherapie und Existenzanalyse) profund und im Sinne
von Frankl weitergegeben.
Mit Viktor Frankl hat die wissenschaftliche Welt und die Menschheit
einen der großen Vorkämpfer für eine Rehumanisierung
der Medizin und der Psychotherapie verloren. Es ist auch ein Mensch
von uns gegangen, der trotz des erlittenen Unrechts und Leides in
den Konzentrationslagern der Nazis, in seine Heimatstadt Wien zurückgekehrt
war und für alle Menschen als Arzt weiterwirkte, sich immer
gegen eine Kollektivschuldzuweisung stellend, »hinweg über
alle Gräber und Gräben«.
Viktor Frankl sah das Leben bis zuletzt mit Sinnmöglichkeiten
erfüllt, die auf ihre Verwirklichung durch den Menschen warten
- eine Haltung die er selbst bis zum letzten Moment gelebt hat.
2.0 Sinn als Therapie
2.1 Eine »Dritte Wiener Richtung der Psychotherapie«
Ausgehend von der Psychoanalyse Sigmund Freuds und der Individualpsychologie
Alfred Adlers entwickelte Viktor Frankl einen eigenständigen
Ansatz, den er 1938 erstmals publizierte. Die Logotherapie und Existenzanalyse
betrachtet die Suche nach Sinn im Leben als Hauptmotivation des
Menschen. Die Frage nach dem Sinn im Leben ist gerade in der heutigen
Gesellschaft von hoher Aktualität. Die Logotherapie hilft Menschen,
denen die Lebensinhalte verloren gegangen sind, bei der Neuorientierung.
Hier setzt sich die Logotherapie ihre Kernaufgabe: dem Menschen
bei seiner Sinnfindung im Leben zu helfen. Die Suche nach dem Sinn
wird als Haupthandlungsmotivation des erwachsenen Menschen angesehen.
2.2 Freiheit, Würde und Verantwortung des Menschen
Der Mensch ist ein entscheidungsfähiges Wesen - und er ist
für seine Entscheidungen auch verantwortlich. Er ist nicht
Spielball von Trieben oder Umweltgegebenheiten, sondern jederzeit
frei, zu inneren und äußeren Bedingungen Stellung zu
nehmen. Ziel der Therapie ist dabei nicht etwa das Aufzeigen des
Sinns des Lebens durch den Therapeuten, sondern das Auffinden konkreter
Sinnmöglichkeiten in konkreten Lebenssituationen durch den
Klienten. Dabei betrachtet die Logotherapie und Existenzanalyse
Zweifel am Sinn des Lebens, moralische Konflikte und existentielle
Krisen nicht als Krankheit, sondern nur als möglichen Boden
für Neurosen. Als Motto und Herzstück der Logotherapie
könnte man zitieren: »Es kommt nie und nimmer darauf
an, was wir vom Leben zu erwarten haben, vielmehr lediglich darauf:
was das Leben von uns erwartet.« Oder noch kürzer gefasst:
»Wir sind nicht auf Erden, um geliebt zu werden, sondern um
zu lieben«.
2.3 Zufriedenheit und Erfolg als Nebeneffekte
Die gesunde und mündige Persönlichkeit, die sich mit
Engagement und notfalls Opferbereitschaft wichtigen Aufgaben widmet,
geliebten Menschen dient, Werke ihrer Zuneigung schafft und sich
auf Gebieten ihres Interesses betätigt, erntet als (unbeabsichtigten)
Nebeneffekt mit hoher Wahrscheinlichkeit glückliche Stunden,
vorzeigbaren Erfolg, ein stabiles Selbstbewusstsein und insgesamt
die Zufriedenheit mit einem erfüllten Leben.
Der neurotisch verfangene, ängstliche Mensch dagegen kreist
mit seinen Gedanken und Gefühlen um sich selbst und seine Befindlichkeit,
statt sich mutig und selbstvergessen zur Welt zu öffnen und
sein Bestes in sie hineinzuverströmen. Von vorrangiger Bedeutung
in der Logotherapie sind die Methoden zur Neuorientierung, das therapeutische
Geleit zu einem sinnorientierten Lebensstil. Dabei greift sie auf
die spezifisch menschlichen Fähigkeiten zur Selbsttranszendenz
zurück, d.h. auf die Ausrichtung auf etwas oder jemanden »draußen
in der Welt«.
2.4 Selbstdistanzierung als Kraftquelle
Die Technik der paradoxen Intention beispielsweise mobilisiert
die Selbstdistanzierungskräfte im Menschen, indem der Patient
angeleitet wird, sich auf übertriebene Weise just dasjenige
innigst zu wünschen, was er am meisten fürchtet.
Der »lächerliche«
Wunsch z. B., von den Kollegen derart schallend ausgelacht zu werden,
dass die Wände des Büros vor lauter Schallwellen wackeln,
hebt die »lächerliche« Angst vor einer Blamage
aus ihren Angeln. Diese Methode ist vielfach variabel und besonders
bei Angst- und Zwangssyndromen anwendbar. Mit Hilfe der »Dereflexion«
kann der Neigung zu übermäßiger Selbstreflexion
entgegengewirkt werden. Es wird dabei die Fähigkeit des Patienten
verstärkt, sich interessiert-liebend Wertobjekten oder Wertsubjekten
seiner Umwelt zu widmen und damit über sich selbst hinaus zu
fühlen. Mit dem Abzug seiner krankmachenden Aufmerksamkeit
von der eigenen Befindlichkeit erholt sich diese - unbeachtet.
2.5 Die Einstellung macht den Unterschied
Der umfassende Methodenkomplex der traditionellen Logotherapie
besteht in einer Palette von größtenteils philosophischen
Hilfen zur »Einstellungsmodulation«. Wer sagt: »Der
Autounfall hat mein Leben ruiniert, weil ich meinen rechten Arm
verloren habe und nie mehr so schön zeichnen und malen können
werde wie früher«, dessen Lebensfreude und Leidbewältigung
ist erheblich geringer als die eines anderen, der sagt: »Bei
meinem Autounfall habe ich enormes Glück gehabt, denn ich hätte
sterben können. Ich habe zwar meinen rechten Arm eingebüßt,
aber inzwischen kann ich mit der Prothese schon wieder erstaunlich
gut schreiben.« Die Einstellungsmodulation soll den Menschen
helfen, die Perspektiven zu wechseln, aus denen heraus sie Ereignisse
oder Sachverhalte interpretieren, sodass die betrachteten Inhalte
in sinnvolleres und zustimmungswürdigeres Licht getaucht sind.
Dabei geht es aber nicht um Beschönigungen, sondern um echte
Sinnfindung in der jeweiligen Situation.
2.6 Zusammenfassung
Ziel der Logotherapie ist die Begleitung der Klienten beim Auffinden
konkreter Sinnmöglichkeiten in den jeweiligen Lebenssituationen.
Sie bedeutet Hilfe bei der Neuorientierung und beim Wiedererlangen
des Vertrauens in die unbedingte Sinnhaftigkeit des Lebens und die
Würde der Person. Das Leben ist nach Frankl nicht nur sinnvoll
zu gestalten durch Schaffen, Erleben, Lieben, sondern auch durch
das rechte Erleiden unabänderlichen Schicksals. Auch Vergänglichkeit
und Tod machen menschliches Dasein nicht sinnlos; vielmehr werden
die verwirklichten Sinnmöglichkeiten ins Vergangensein »hineingerettet«;
in der Vergangenheit ist »nichts unwiederbringlich verloren,
sondern alles unverlierbar geborgen«. Logotherapie und Existenzanalyse
ist eine seit Jahrzehnten international anerkannte und empirisch
untermauerte humanistische Psychotherapierichtung. Institute, Vereinigungen
und Lehrstühle in zahlreichen Ländern sowie Veranstaltungen
und Publikationen künden von ihrer stetig wachsenden Bedeutung.
Melanie Fischer (Mai 2003, 2AKO)
Als Quellen dienten Informationen der
Universität Wien, einer österreichischen
Gesundheitsinitiative, sowie einer
Einrichtung für Logotherapie.
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