› Weltethos - Von Swami Vivekananda zu Hans Küng

1.0 »Parlament der Religionen« - Chicago 1893

Herbst 1893: Anläßlich der 400 Jahres Feiern der Entdeckung Amerikas wird in Chicago eine große Leistungsschau von Wirtschaft, Wissenschaft und Industrie vorbereitet. Charles Carroll Bonney hat die Idee zur Organisation eines kulturellen Begleitprogrammes zu diesem Großereignis. Dieses wird in der Gestalt von Kongressen zu allen Gebieten der Kultur bis hin zur Religion verwirklicht. John Henry Barrows, Pfarrer der angesehenen First Presbyterian Church of Chicago, konnte als Leiter der Abteilung »Religion« gewonnen werden, und berief einen Kongress von Vertretern aller großen Religionen, das sogenannte »Parliament of World´s Religions«, ein.

Im Rahmen dieser Veranstaltung gelang es, Vertreter aus 45 verschiedenen Religionen und Organisationen zum Gedankenaustausch zu versammeln. Die Idee der Völkerverständigung durch Religion war gegen Ende des 19. Jahrhunderts noch so revolutionär, dass dieses Ereignis mit größter Aufmerksamkeit verfolgt wurde, und von allen Begleitprogrammen zur Weltausstellung die beste Presse erhielt.

Obwohl noch stark von den christlichen Kirchen dominiert, bot diese Veranstaltung erstmals ein öffentliches Podium zur Präsentation spiritueller Traditionen unterschiedlichster Herkunft und Gelegenheit zum interreligiösen Dialog auch mit diesen religiösen Konzepten.

1.1 Vivekananda und die »Einheit der Religionen«

Zur herausragenden Persönlichkeit dieses Kongresses wurde Swami Vivekananda, ein junger bengalischer Mönch, der zum Leiter einer bedeutenden hinduistischen Erneuerungsbewegung werden sollte. Sein Lehrer Ramakrishna äußerte sich zur Frage der »Einheit in der Vielheit der Religionen« folgendermaßen:

»Zahlreich sind die Namen Gottes und unendlich die Gestalten, die uns zu seiner Erkenntnis führen. Bei welchem Namen oder in welcher Gestalt du ihn rufen magst, in diesem Namen und in dieser Gestalt wirst du ihn erblicken. Wie verschiedene Schmuckstücke aus dem einen Gold gemacht sind mit je anderen Formen und Namen, so wird der eine Gott in verschiedenen Ländern und Epochen verehrt und trägt verschiedene Formen und Namen. Auf welche Weise er auch Mverehrt werden mag – manche nennen ihn Vater, andere Mutter und so fort –, so ist es doch der eine Gott, dem die Verehrung gilt.« (Ramakrishna, Leben und Gleichnis, S 121f.)

Dieses Zitat charakterisiert den Geist der interreligiösen Verständigung, der das »Parlament der Religionen« prägte, ebenso wie das folgende Gebet, das Vivekananda formulierte:

»Möge der,
welcher ›Unser Vater‹ für die Christen,
Jahwe für die Juden,
Allah für die Moslems,
Ahura Mazda für die Zarathustrier,
Aarhat für die Jainas,
Buddha für die Buddhisten,
Brahman für die Hindus,
möge dieses Allmächtige und Allwissende Sein,
das wir alle als Gott anerkennen,
den Mernchen den Frieden geben,
und unsere Herzen in einer geistigen Bruderschaft vereinen!
Lass Frieden sein unter den Menschen,
Frieden im Herzen – rund um die Erde. Amen«

2.0 »Parlament der Religionen, die zweite« - Chicago 1993

Anläßlich des 100 jährigen Jubiläums des ersten Parlamentes der Weltreligionen von 1893 wird eine zweite Versammlung dieser Art ins Leben gerufen, und vereint vom 28. August bis 4. September 1993 ca. 6.500 Vertreter von zig Religionen der Erde. Dabei wird – in z.T. heftigen Diskussionen – eine gemeinsame Erklärung erarbeitet, die sich als Basis für einen weiteren Meinungsbildungsprozess versteht. Die Erklärung soll nicht End- sondern Anfangspunkt im Dialog der Religionen miteinander und mit der modernen Gesellschaft sein.

2.1 Eine Erklärung zum Weltethos

Angesichts des Zusammenrückens unserer Welt auf dem Gebiet der Politik, der Wirtschaft und der Technologie erhebt sich die Frage nach einem globalen Grundkonsens darüber, welche Werte, Maßstäbe und Grundhaltungen für die Menschen und ihr Zusammenleben gelten sollen. Erstmals in der Religionsgeschichte wurde im Rahmen des Parlamentes der Weltreligionen eine gemeinsame Erklärung zum Weltethos vorgelegt. Darin wird herausgearbeitet was alle Religionen der Welt bereits jetzt in der Frage der Ethik gemeinsam haben.

2.2 Ziele

»Ein Weltethos will das, was den Religionen der Welt trotz aller Verschiedenheit jetzt schon gemeinsam ist, herausarbeiten und zwar in bezug auf menschlichees Verhalten, sittliche Werte und moralischen Grundüberzeugungen.«

»Es ist gegen niemanden gerichtet, sondern lädt alle ein, Gläubige wie Nichtgläubige, sich dieses Ethos zu eigen zu machen und entsprechend zu handeln.«

2.3 Nicht-Ziele

Nicht angestrebt wird durch die Erklärung zum Weltethos...

· eine Weltideologie
· eine einheitliche Weltreligion, jenseits der bestehenden Religionen
· eine Mischung aus allen Religionen
· ein ethischer Minimalismus
· ein Ersatz für die Traditionen von Muslimen, Juden, Christen, Hindus, ...

2.4 Vom Dialog der Religionen zum Weltfrieden

Um glaubwürdig zu sein, sollten religiös inspirierte Menschen verschiedener Traditionen zusammenarbeiten. Nicht indem sie die historisch gewachsenen Unterschiede ihrer Traditionen verwischen, sondern indem sie bestehende Gemeinsamkeiten zur Basis eines fruchtbaren Dialogs machen.

· Kein Weltfrieden ohne Religionsfrieden
· Kein Religionsfrieden ohne Dialog der Religionen
· Kein Dialog der Religionen ohne Kenntnis der eigenen Traditionen

2.5 Ethischer Grundkonsens

Vier »unverrückbare Weisungen« stehen im Mittelpunkt des Textes, auf den sich Vertreter aller religiösen Traditionen einigen konnten:

· Verpflichtung auf eine Kultur der Gewaltlosigkeit und der Ehrfurcht vor dem Leben
· Verpflichtung auf eine Kultur der Solidarität und eine gerechte Wirtschaftsordnung
· Verpflichtung auf eine Kultur der Toleranz und ein Leben in Wahrhaftigkeit
· Verpflichtung auf eine Kultur der Gleichberechtigung und die Partnerschaft von Mann und Frau

Quellen: Hans Küng, Dokumentation zum Weltethos, Piper, München 2002; sowie Infos der Stiftung Weltethos.