Jesusbilder - Jesus der Versöhner
1.0 Der Maßstab Jesu
Die Worte Jesu über die Versöhnung haben vor allem bei
Politikern Widerstand hervorgerufen. Helmut Schmidt hat als Bundeskanzler
das bekannte Wort geprägt, mit der Bergpredigt könne man
keine Politik machen. Ich möchte drei provozierende Worte aus
der Bergpredigt betrachten, in denen Jesus zur Versöhnung aufruft.
1.1 Versöhnung mit Gott und den Menschen
»Wenn du deine Opfergabe zum Altar bringst und dir dabei
einfällt, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, so lass deine
Gabe dort vor dem Altar liegen; geh und versöhne dich zuerst
mit deinem Bruder, dann komm und opfere deine Gabe.« (Matthäus
5,23f) Wenn ich Gottesdienst feiere, muss ich mir zuerst klar werden
über meine Beziehung zu den Mitmenschen. Wenn da einer etwas
gegen mich hat, muss ich zuerst bereit sein zur Versöhnung.
Vielleicht habe ich den anderen unbewusst verletzt. Vielleicht beruht
sein Affront gegen mich auch nur auf einem Missverständnis.
Ich muss erst meine Beziehung zu meinem Mitmenschen klären,
bevor ich vor Gott treten kann. Doch was soll ich machen, wenn der
andere gar keine Versöhnung will, wenn er seine eigenen Probleme
auf mich projiziert? Ich kann nur tun, was mir möglich ist.
Wenn der andere sich nicht versöhnen will, ist das seine Sache.
Jesus fordert mich heraus, genau hinzuschauen, wo mein Anteil an
dem Konflikt ist. Im Gespräch mit dem Bruder oder der Schwester
kann ich klären, wo der Grund der Verstimmung liegt. Jesus
bindet den Gottesdienst an die Versöhnung mit dem Mitmenschen.
Ich darf meine Beziehung zu Gott nicht ohne meine Beziehung zu den
Menschen sehen. Das ist eine provozierende Herausforderung. Meine
Spiritualität verweist mich auf die Versöhnung mit den
Menschen.
1.2 Die befreiende Wirkung innerer Aussöhnung
Das zweite Wort ist genauso provozierend: »Schließ
ohne Zögern Frieden mit deinem Gegner, solange du mit ihm noch
auf dem Weg zum Gericht bist. Sonst wird dich dein Gegner vor den
Richter bringen, und der Richter wird dich dem Gerichtsdiener übergeben,
und du wirst ins Gefängnis geworfen.« (Matthäus
5,25) Im griechischen Urtext heißt es einfach: »solange
du noch auf dem Weg bist«. Solange ich lebe und in Bewegung
bin, muss ich mich mit meinem Gegner versöhnen. Hier ist vor
allem der innere Gegner gemeint, all das, was ich in mir selbst
bekämpfe, was ich nicht annehmen kann. Solange ich auf dem
Weg bin, soll ich mich mit dem inneren Gegner versöhnen. Ich
muss versuchen, meine Schattenseiten anzunehmen, die ich am liebsten
abschneiden möchte.
Wenn ich mich nicht mit meinen Schattenseiten
versöhne, dann führen sie mich vor den inneren Richter,
vor die Instanz des eigenen Über-Ichs. Der innere Richter wird
mich dem Gerichtsdiener übergeben, der mich mit Selbstvorwürfen
peinigt, der mich in meinen Lebensmustern festhält. Und er
wird mich ins Gefängnis werfen. Ich werde so in mir gefangen
sein, dass es irgendwann zu spät sein wird, aus diesem inneren
Gefängnis auszubrechen. Solange ich auf dem Weg bin, ist es
meine Aufgabe, mich mit mir selbst auszusöhnen. Nur dann werde
ich auch fähig sein, mich mit den Gegnern zu versöhnen,
die meine Wege kreuzen.
1.3 Gegner im inneren und äußeren Leben
Das Wort von der Feindesliebe hat seit jeher gleichzeitig größte
Zustimmung und Ablehnung erfahren. Die einen sehen darin den Vorzug
der Lehre Jesu, die anderen halten sie für eine heillose Überforderung:
»Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst deinen
Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch:
Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit
ihr Söhne eures Vaters im Himmel werdet; denn er lässt
seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten, und er lässt
regnen über Gerechte und Ungerechte.« (Matthäus 5,43-45)
In der Feindesliebe sollen die Jünger Gott nachahmen,
der seine Sonne über Bösen und Guten aufgehen lässt.
Jesus hat die Menschen nicht in gut und böse eingeteilt. Er
hat in den Guten die Gefährdung zum Bösen gesehen und
in den Bösen die Sehnsucht nach dem Guten. Er hat beide angenommen
und beiden einen Weg zum Leben gewiesen. Zur Feindesliebe sind wir
nur fähig, wenn wir zuerst den Feind in uns lieben, wenn wir
die Sonne unseres Wohlwollens über das Gute und Böse in
uns scheinen lassen, wenn wir mit einem milden Blick auch auf das
in uns schauen, was unser Idealbild von uns durchkreuzt.
Feindesliebe heißt nicht, dass wir uns alles gefallen lassen, was andere
uns antun. In erster Linie bedeutet es, dass wir uns nicht in die
Feindschaft hineinziehen lassen. Wenn mich jemand als Feind bekämpft,
dann darf ich nicht gleich feindlich reagieren. Sonst legt der andere
mich auf die Feindschaft fest.
1.4 Persönliche Konsequenzen
Die erste Aufgabe ist, dass ich erkenne, warum der andere mich
als Feind sieht. Vielleicht projiziert er seine eigenen Probleme
auf mich. Weil er sich selbst nicht annehmen kann, bekämpft
er an mir die Seiten, die er bei sich selbst ablehnt. Wenn ich das
durchschaue, dann wird der andere nicht mein Feind. Ich sehe in
ihm den Menschen, der sich nach Heilung und Angenommenwerden sehnt.
So kann ich ihm in Freiheit begegnen.
Manche meinen, die Feindesliebe
sei anstrengend. Aber für mich ist es anstrengender, den Feind
zu hassen. Denn dann bestimmt der Feind meine eigene Stimmung und
mein Verhalten. Den Feind zu lieben bedeutet für mich Freiheit.
Ich sehe den anderen nicht als Feind, sondern als einen Menschen,
der sich nach Freundschaft sehnt.
1.5 Gesellschaftliche Konsequenzen
Das Wort Jesu hat auch eine politische Dimension. Er möchte
mit dem Gebot der Feindesliebe den Riss heilen, der durch unsere
Gesellschaft und durch die Völker geht. Jesus lässt uns
nicht in Ruhe mit unseren Feindbildern. Er fordert unsere Phantasie
und Kreativität heraus, nach Wegen zu suchen, wie die verschiedenen
Gruppierungen in der Gesellschaft und wie verfeindete Völker
einen anderen Weg miteinander finden könnten.
Wenn sich die Völker ihre Verletzungen gegenseitig aufrechnen, dann entsteht
ein heilloser und endloser Konflikt. Das zeigt uns die Situation
auf dem Balkan. Was sich angestaut hat an Hass, das wird von Generation
zu Generation weitergegeben. Wenn dieses Hasspotential nicht aufgearbeitet
und durch Versöhnung aufgelöst wird, dann wird kein militärisches
Mittel den Frieden garantieren können. Die Aufforderung Jesu
zur Feindesliebe will das alte Schwarz-Weiß-Denken ablösen
und zu neuen Wegen des Friedens und der Versöhnung aufrufen.
2.0 Anregungen zur persönlichen Reflexion
· Bist du mit dir selbst versöhnt? Mit welchen Gegnern in
deinem Inneren müsstest du dich versöhnen? Was kannst
du bei dir selbst nicht annehmen? Wo wütest du gegen dich selbst?
Versuche, alles, was in dir hochkommt, wahrzunehmen und dir zu sagen:
Das bin ich. Das ist ein Teil von mir. Es darf so sein, wie es ist.
Ich sage ja dazu.
· Gibt es Menschen, denen gegenüber du Groll empfindest? Welche
Menschen fallen dir spontan ein, mit denen du nicht versöhnt
bist? Mit wem möchtest du dich gerne versöhnen? Achte
zuerst auf deine Gefühle. Schau den Groll gegenüber dem
anderen an und lass in diesen Groll den Geist der Versöhnung
hinein. Vielleicht wandelt sich der Groll, und du spürst in
dir einen tiefen Frieden. Wenn du in deinem Herzen mit dem anderen
versöhnt bist, dann überlege, welche konkreten Schritte
der Versöhnung du nach außen zeigen möchtest. Du
könntest das Gespräch suchen, eine Geste der Versöhnung
zeigen oder ein Segensgebet für den anderen sprechen.
· Was möchtest du in deiner Umgebung tun, um eine Atmosphäre
der Versöhnung zu schaffen? Achte auf deine Sprache, ob sie
spaltet oder versöhnt! Achte auf deine Gedanken, ob sie vom
Geist der Versöhnung geprägt sind!
Quelle: Anselm Grün, Bilder von Jesus, Vier-Türme-Verlag,
Münsterschwarzach 2001, 52ff. Der Text wurde ungekürzt
übernommen, die Überschriften wurden eingefügt.
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