Wicca-Kult - Alte Traditionen in neuem
Gewand
1.0 Einleitung
Es ist schwierig in knapper Form zusammenzufassen, was Wicca ist.
Schlägt man die gängige Literatur zu diesem Thema auf, reduzieren
entweder Außenstehende die Religion auf ihre Praktiken oder
es versuchen Angehörige sich zu rechtfertigen. Der Vorwurf sexueller
Ausschweifungen hängt ebenso im Raum wie Satanismus oder gar
nationalsozialistische Tendenzen. Fragen und Kritik sind ohne Zweifel
wichtig und sinnvoll, aber zunächst sollte geklärt werden,
worüber eigentlich gesprochen wird...
1.1 Wicca und die Neuen Naturreligionen
Wicca ist der Name einer modernen neuheidnischen Religion, die
vor allem durch den Einsatz eines pensionierten britischen Beamten
namens Gerald Gardner in den späten 40ern des 20. Jhdts. verkündet
und verbreitet wurde. In den letzten Jahrzehnten hat sich Wicca
zum Teil aufgrund ihrer Beliebtheit bei Feministinnen und anderen
Menschen, die eine frauenfreundlichere und erdverbundene Religion
suchten, ausgebreitet. Wie die Mehrzahl der neuheidnischen Religionen
verehrt Wicca das Geheiligte als wesenhaft in der Natur und bezieht
einen großen Teil ihrer Inspiration aus den nicht-christlichen
und vorchristlichen Religionen Europas.
Als »Neu-heidnische« Strömung (im Englischen »neo-pagan«,
von lat. paganus = Landbewohner; im Deutschen wurden daraus »Heiden«,
da diese Menschen »in der Heide« lebten) greift Wicca
zurück auf eine Zeit vor der Verbreitung der heutigen großen
monotheistischen Religionen. Als Faustregel kann man sagen, dass
die meisten Wiccas Neu-Heiden sind, aber nicht alle Heiden Wiccas.
1.2 Grundlegende Strukturen
Es gibt eine Vielzahl von Erscheinungsformen innerhalb der Neuen
Naturreligionen - die meisten unterscheiden sich nur durch Details,
die von außen betrachtet nicht immer auffallen mögen.
Allein die Begrifflichkeiten sind unübersichtlich: Wicca, Neue
Naturreligionen, Heiden, Neue Heiden, Hexen - dann die vielen Untergruppen:
Dianics, Schamanen, Kelten, Garderians, Alexandrians, Feentradition,
Germanen... Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen, denn
eines kann man vorwegnehmen: wie immer man die Neuen Naturreligionen
letztendlich bezeichnet, es ist eine Individualreligion. Der Einzelne
entscheidet, was er glaubt und wie er es praktiziert. Nur ein kleiner
gemeinsamer Nenner ist für alle gültig - oder wenigstens
für fast alle.
Das Glaubensbild geht von einer grundsätzlichen Untrennbarkeit
von Profanem und Heiligem aus. Eine Jenseitsprojektion in ein Leben
nach dem Tod oder einen fern der Welt existierenden Gott wird abgelehnt.
Die göttliche Essenz ist allgegenwärtig im Diesseits.
Das Leben erfüllt seinen Zweck jetzt und hier. Entsprechend
werden auch alle Erscheinungen dieser Welt als gleichwertig betrachtet.
Lebewesen und Nicht-Lebwesen, Menschen, Tiere und Pflanzen, männlich
und weiblich stehen gemeinsam auf einer Ebene ohne hierarchische
Strukturen, die einen Teil als wertvoller erheben oder als geringer
herabwerfen. Vielmehr sind alle miteinander verbunden, Teil eines
gemeinsamen Systems, in dem jede Entscheidung eines Einzelnen Einfluss
auf alle hat. Löst sich ein Knoten des Netzes, kann das ganze
Netz eine neue Form bekommen. Dementsprechend ist die Verantwortung
des Einzelnen für sich und seine Umwelt von großer Bedeutung.
Ein Grundsatz lautet »Tu was du willst, solange es niemandem
schadet«, aber es wäre treffender zu sagen »Bedenke
was du tust und verantworte die Folgen«.
Die Verehrung der Natur ist Voraussetzung für alle Naturreligionen.
Der ewige Kreislauf von Leben und Sterben, die Vielfalt der Arten,
die Polarität der Geschlechter werden in den acht Großen
Festen, Feasts oder Sabbaten gefeiert. Hinzu kommen die kleineren
Feste der einzelnen Strömungen.
Bei den Wiccas werden die zwölf bis dreizehn Vollmonde im Jahr
als Esbats begangen. Wicca als spezielle Form der Neuen Naturreligionen
geht auf die Arbeiten von Gerald Gardner und Alex Sanders zurück,
die jeweils eigene Strömungen innerhalb der Wiccas begründet
haben. Daneben existieren jedoch viele Varianten des Wicca, die
sich in Kleinigkeiten unterscheiden. Auch die Abgrenzung zu anderen
Traditionen (z.B. keltisch oder nordisch) fällt schwer, da
das gemeinsame Grundkonzept wesentlich größer ist als
die vermeintlichen Unterschiede.
2.0 Vorstellungen über Gott und Göttin
Götter werden in den Naturreligionen nicht als Figuren betrachtet,
die über dem Menschen stehen und seine Handlungen bestimmen
oder rechtfertigen. Sie sind Manifestationen der natürlichen
Kräfte und weniger »Drahtzieher« aus dem Jenseits.
Faktisch stehen sie auf der gleichen Wertstufe wie die normalen
Wesen der Erde. Man kann mit ihnen harmonieren, mit ihnen hadern,
einzelne von ihnen lieben und andere verabscheuen. Sie sind Personifikationen
bestimmter Aspekte, Erscheinungen oder Kräfte. In den afroamerikanischen
Kulten gibt es inzwischen sogar einen Gott der Automechaniker! Und
seine Anhänger wird es kaum in allen Bevölkerungsgruppen
geben.
Allgemein heißt es aber: »Alle Göttinnen sind eine
Göttin. Alle Götter sind ein Gott.« Damit soll angedeutet
werden, dass es eigentlich nur zwei Gottesbilder gibt: ein weibliches
und ein männliches.
Nun, auch hier gibt es Bevorzugungen und Vernachlässigungen.
Manche Frauenkreise widmen sich nur den Göttinnen, sicher gibt
es auch reine Gottes-Zirkel. Die meisten verfolgen jedoch eine Balance
zwischen männlichen und weiblichen Göttern, um kein Geschlecht
höher zu bewerten als das andere. Die Benennung der Götter
folgt – je nach Geschmack – den überlieferten Namen
alter Kulturen, sei es nun griechisch, römisch, ägyptisch,
keltisch, babylonisch, afrikanisch oder germanisch.
Die Große Mutter (als schöpfende Kraft) und der Gehörnte
Gott (als zeugende Kraft) sind jenes gemeinsame Grundbild, aus dem
praktisch alle Benennungen abgeleitet werden. Gemeinsam bilden sie
das heilige Paar, das die Welt erschaffen hat und in Gang hält.
So durchlaufen sie jährlich die Erscheinungsformen von Jungfrau,
Mutter und Alte bzw. Geliebter, Vater und Tod. Dabei teilen sie
sich das Jahr mit unterschiedlichem Kräfteverhältnis.
Die beiden Daten, an denen sie gleichrangig sind, sind Beltaine
(entspricht dem Maifest) und Samhain (entspricht Halloween), die
wohl bekanntesten Festtage der Neuen Naturreligionen.
Eine klare Definition von Gut und Böse gibt es in den Neuen
Naturreligionen nicht. Nach dem Maßstab der Eigenverantwortlichkeit
gibt es keine allgemeingültigen Wahrheiten - und selbst diese
Schlussfolgerung wird von vielen in Zweifel gezogen.
3.0 Vorwürfe, Gerüchte und berechtigte Kritik
3.1 Vorwurf Satanismus
Gerne werden die Neuen Naturreligionen mit dem Satanismus gleichgesetzt
und auf den ersten Blick scheint eine Parallele offensichtlich:
der Gehörnte Gott hat ebenso wie Satan Hörner und Hufe.
Richtiger wäre allerdings, dass Satan nach dem Vorbild des
Gehörnten Gottes im Zuge der Christianisierung entworfen wurde.
Wie auch immer, Satanismus und die Neuen Naturreligionen schließen
sich gegenseitig aus. Der Satanismus ist eine Verehrung des Bösen,
das es in den Neuen Naturreligionen in dieser idealisierten Ausprägung
nicht gibt. Weiters lebt der Satanismus von einer Umkehrung des
Christentums und seines Ritus und ist folglich ohne Christentum
gar nicht praktizierbar, während die Neuen Naturreligionen
ein eigenständiger Glaube sind.
3.2 Vorwurf Sektengefahr
Das Problem der Sektenbildung ist eine Gefahr, der sich jede Religion
stellen muss. Wie es christliche und islamische Sekten gibt, gibt
es sicherlich auch heidnische. Dieser Tatsache muss man ins Auge
sehen. Hingegen sollte man nicht zu der Meinung gelangen, die Neuen
Naturreligionen mit Sekten gleichzusetzen. Der Grundgedanke der
freien Entscheidung des Einzelnen und der Eigenverantwortlichkeit
widerspricht dem. Aber jede Glaubensform kann missbraucht und pervertiert
werden. Sicherlich auch Wicca und die Neuen Naturreligionen.
3.3 Orgien und sexuelle Ausschweifungen?
Es ist richtig, dass Körperlichkeit und Körperbewusstsein
im Hexentum nicht herabgesetzt werden, wie in den kleinasiatischen
und östlichen Religionen. Tatsächlich beschäftigt
sich eines der wichtigen Rituale und ein Hochfest mit der Vereinigung
von Gott und Göttin. Das bedeutet nicht, dass diese Vereinigung
in den Zeremonien auch tatsächlich vollzogen wird. Neben symbolische
Akten (Zusammenführung von Stab und Schale) gibt es aber tatsächlich
auch den körperlichen Vollzug, wenn die Beteiligten dies wünschen.
Für die Vertreter dieser Kulte ist das weniger ein Problem
als für das prüde und sensationslüsterne
Umfeld. Es ist aber eindeutig falsch zu sagen, Sex wäre ein
Hauptbestandteil der Neuen Naturreligionen, nur weil er nicht negativ
betrachtet wird.
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