Naturreligionen - Die Göttlichkeit
der Natur
1.0 Was bedeutet »Naturreligion«?
»Naturreligion« ist ein Oberbegriff für alle Religionen,
die die Natur als wichtigsten Bestandteil, als »göttlichen
Faktor« betrachten. Im Großen und Ganzen geht es dabei
um die Erkenntnis, dass das Göttliche das ist, was unser Leben
entstehen lässt und uns am Leben hält. Hinzu kommt die Erkenntnis,
dass alles um uns herum, alles was wir zum Leben brauchen, aus der
Natur kommt. An die Natur glauben heißt also glauben, dass wir
ein Teil der Natur sind, genauso wie die Natur ein Teil von uns ist.
So ist nicht nur die Natur selbst Gottheit, - ein Teil vom Göttlichen
steckt auch im Menschen. Leider hat sich der Mensch so weit von dieser
Vorstellung entfernt, dass wir mehr und mehr das Bewusstsein verlieren,
dass man die Natur erhalten muss, um zu überleben.
1.1 Ein Vergleich mit monotheistischen Modellen
Es gibt bei den Naturreligionen in der Regel keine Stifter und keine
explizite Lehre, und demnach auch keine Heilige Schrift oder Offenbarung
eines Gottes. Heiden kennen kein Oberhaupt, keinen Gottesvertreter.
Das Göttliche ist nicht außerhalb dieser Welt, und auch
kein Schöpfer, sondern Teil der Welt. Etwas Übernatürliches
gibt es im Heidentum nicht. Demnach ist bei den Heiden Religion auch
kein sich Hinwenden zu etwas Übernatürlichem, und kein sich
einem Gott Unterwerfen. Heiden kennen keine dualistischen, erlösungsorientierten
und moralisierenden Weltdeutungen. Das Denken der Heiden ist nicht linear, sondern
zyklisch, ein Kreislauf des Werdens und Vergehens.
Für Christen gibt es das einzig Wahre
und Gute, das ist Gott. Alles was nicht Gott ist, ist böse und
unheilvoll. Diese Einteilung der Welt in Gut und Böse, sei es
von monotheistischen Religionen, von atheistische Moralisten oder
Materialisten, oder vom amerikanischen Präsidenten, kennen die
Heiden nicht. Alles hat Grauzonen, alles ist subjektiv. Menschen,
die sich darauf stützen das alleinige Gute zu repräsentieren
und sich auf der Seite des moralischen Rechts wähnen, sind am
gefährlichsten. Beispiele aus der Geschichte gibt es zur Genüge.
Deswegen kennen die Heiden auch keine Glaubenskriege, wie etwa die
vom Christentum angezettelten Konflikte, die sowieso mit politischen
und wirtschaftlichen Interessen durchtränkt sind. Ebenso ist
es für einen Heiden unsinnig für einen Glauben zu sterben.
Heiden missionieren nicht. Naturgesetze und Erkenntnisse der Naturwissenschaften
werden unumstößlich anerkannt, aber man geht darüber
hinaus. Man macht Angaben über das was noch nicht erforscht ist,
die Gesamtheit von Geist und Materie, und ist offen für außerordentliche
Erfahrungen.
Der Unterschied zwischen Naturreligionen und anderen Religionen ist,
dass nicht an irgend ein überirdisches Wesen geglaubt wird,
sondern an die Kraft dessen, was uns am Leben hält, das, was
wir nicht nur spüren oder »erahnen« können,
sondern auch sehen und anfassen können. Durch die Erforschung
dieser Religionen erhoffte man sich früher etwas über die
»Ur-Religion« zu erfahren. Doch die verschiedenen Formen
der Naturreligionen kann man nicht als »Entwicklung« sehen,
da sie alle nebeneinander und nicht nacheinander auftraten. Es ist
hier nicht möglich alle Naturreligionen gesondert zu behandeln,
da der Umfang dieses Gebietes unvorstellbar groß ist. Trotz
der räumlichen und zeitlichen Unterschiede gibt es aber Gemeinsamkeiten
zwischen den unterschiedlichen Traditionen.
1.2 Sonne und Mond als zentrale Symbole
Die Naturreligion ist kein Monotheismus, die wichtigste Elemente dieser
Glaubensrichtung sind Mond und Sonne. Diese dienen als Symbole der
beiden höchsten Gottheiten, die beide die selbe Stellung haben,
auch wenn davon die Rede ist, dass die Göttin (Symbol: Mond)
einst den Gott (Symbol Sonne) geschaffen hat, als sie in einen Spiegel
(Symbol für das Universum) sah: Sie fand sich selbst so schön,
dass ein Teil von ihr in den Spiegel überging und sich von ihr
so weit entfernte, dass dieser Teil zu einer zweiten Gottheit wurde...
In den westlichen Naturreligionen werden im Jahr acht Feste gefeiert,
die jedes Jahr aufs neue die Geschichte der Jahreszeiten erzählen.
Man lebt in der Vorstellung, dass die Göttin jedes Jahr drei
Aspekte durchläuft: Im Frühling sieht man sie als Jungfrau,
im Sommer ist sie in voller Pracht und wird zur Mutter und im Winter
wird sie zur alten Frau (vgl. dazu die irische Sage von den 3 Brigitten).
Wenn man das Ganze von der realistischen Seite betrachtet, wird einem
zumindest klar, dass es die Sonne ist, die die Pflanzen wachsen lässt,
dass es der Mond ist, der für Ebbe und Flut sorgt und dass wir
ohne diese Ereignisse nicht existieren können, und niemals existiert
hätten.
2.0 Weitere Begriffe und Glaubensvorstellungen
Naturreligion ist eine polytheistische, lebensbejahende Diesseitsreligion.
»Religion« ist in dieser Auffassung nicht, Lehren zu
verkünden oder Glauben zu predigen, sondern diese zur eigenen
Erfahrung einzusetzen, - ein spiritueller Weg der Selbstfindung.
Sexualität, wann und wie, obliegt keiner Kirche, sondern den
beiden Partnern. Den Begriff der Sünde kennen Heiden nicht.
Der Sinn des Lebens ist man selbst, das Leben selbst der Sinn. Gedanken
über den Tod, oder was danach ist, sind in dieser Weltsicht
reine Spekulation. Ein Heide weiß, dass er in seinen Nachfahren
weiterleben wird, wenn nicht durch genetische, dann zumindest durch
geistige Hinterlassenschaft. Heiden waren zwar patriarchal organisierte
Völker, bei denen das Mitspracherecht von Frauen eingeschränkt
war, Frauen wurden jedoch nicht als minderwertig betrachtet, schon
gar nicht in der Religion. In vielerlei Hinsicht wurden Frauen sogar
als göttlicher betrachtet als Männer. Demnach sind heute
bei den Heiden Frauen sowohl religiös als auch gesellschaftlich
voll gleichberechtigt.
2.1 Heidentum als »traditional-religion«
Die Bezeichnung »Heide« stammt aus dem Christentum und
diente ursprünglich als abwertende Bezeichnung für Menschen,
die noch nicht missioniert sind, also Menschen, die »auf der
Heide« lebten, lat. paganus (Landbewohner). In der Regel werden
heute damit Angehörige des Germanentums oder Keltentums bezeichnet.
Die religiösen Konzepte der Naturreligionen wurzeln in den
Vorstellungen unserer Vorfahren, die zeitlich lange vor dem Christentum
zu datieren sind. Daraus resultiert auch die Bezeichnung »traditional-religion«.
Je nach geographischer Lage gibt es auf der ganzen Welt verteilt
unterschiedliche Naturreligionen, mit unterschiedlichen Göttervorstellungen.
Um Naturreligion zu begreifen muss man das herkömmliche Bild
von Religion über Bord werfen. Man betet nicht den Waldwatz
oder Gegenstände der Natur an. Die Natur selber ist heilig,
und manifestiert diese Heiligkeit in der Vielfalt ihrer Erscheinungen.
Viele unterschiedliche Formen des Glaubens treten in den Naturreligionen
nebeneinander auf. Den wissenschaftlichen Erkenntnissen zu Folge
hat es nie ein Volk ohne religiöse Vorstellungen gegeben. Jede
Kultur hat sich demnach mit Religion auseinandergesetzt.
2.2 Animismus
Animismus (anima = Seele) ist eine frühe Form des Gottesglaubens.
Es werden Seelen und Geister verehrt, bzw. alles wird als beseelt
erlebt. Es gibt in dieser Vorstellung gute und böse Geister,
solche, die ein Eigenleben führen und solche, die von Göttern
abhängig sind. Manche kann man durch Opfer oder Zaubersprüche
beeinflussen, andere verhalten sich völlig unberechenbar. Es
existieren vielfältige Mittel und Methoden, um böse Geister
abzuwehren. Außerdem schützen Riten, Amulette oder andere,
freundlich gesinnte Geister.
2.3 Magie und Rituale
Jede Religion hat ihre Riten und ihre Zeremonien. In der christlichen
Messe wird eine Oblate zum Symbol des Leibes Christi und somit zur
Verkörperung Gottes. Ähnliche Rituale werden in den traditionellen
Naturreligionen als magische Handlungen bezeichnet - sowohl von
den Anhängern dieser Kulte, als auch von christlichen Missionaren
oder Anthropologen. Und dieser Begriff ist durchaus zutreffend,
beschreibt »Magie« doch all jene Tätigkeiten, die
eines rationalen Sinns entbehren. Eine Oblate wird nicht zum Fleisch
von wem auch immer - sie bleibt eine Oblate. Physisch betrachtet.
Für den Gläubigen ist sie, was sie sein soll. Die Oblate
hat eine neue Bedeutung erhalten, eine neue Qualität und neue
Wirkungen. Sie ist kein beinahe geschmackloses Stück Backwerk
mehr. Ihr Verzehr gibt mitunter Zuversicht und Gottvertrauen, obwohl
kein realer Gegenwert dahinter steht.
Ähnliches gilt für die Rituale und magischen Aktivitäten
in den Naturreligionen. Profanes offenbart seinen spirituellen Charakter
in der Zeremonie und scheinbar zusammenhangslose Ereignisse werden
verbunden. In einem komplexen Netz unzähliger Verknüpfungen
gibt es keine Zufälle. Das physikalische Modell von Ursache
und Wirkung hat nicht die Kapazität, um alles zutreffend vorherzusagen.
Das magische Weltmodell hingegen ist entschieden älter und
effektiver, wenn es darum geht, Sachverhalte zu beeinflussen, die
scheinbar ohne Zusammenhang sind.
Innerhalb des oben erwähnten Systems eines allumfassenden
Netzes könnte man jedoch eher sagen, dass die durch Magie geschaffenen
Verknüpfungen nicht geschaffen, sondern nur spürbar und
beeinflussbar gemacht werden. Und wie bei der Weihe der christlichen
Hostie erhalten Dinge und Ereignisse Wirkungen, die sie zuvor (scheinbar)
nicht hatten. Wer sich unter Magie etwas vorstellt, was einem David
Copperfield gleichkommt, über- und unterschätzt die tatsächlichen
Möglichkeiten. Magie lässt keine Flugzeuge oder Freiheitsstatuen
verschwinden (und Copperfield tut das auch nicht - er lässt
es nur so aussehen). Magie geht jedoch über bloße Illusionen
hinaus, denn sie zeigt Wirkungen und Folgen.
In den Naturreligionen spielt die Magie eine große Rolle.
Sie nimmt in manchen Kulten sogar eine zentrale Stellung ein. Magie
ist die »Erfahrung mit Macht und das Handeln mit dieser Macht«.
Diese Menschen glauben, dass die Magie das Dasein des Menschen regiert
und dass Magie, richtig gelenkt hilfreich und förderlich sein
kann. Die Magie wirkt meistens über irgendeinen Gegenstand,
ein Medium. Sie wird in verschieden Klassen unterteilt. Die beiden
bedeutendsten sind der Analogiezauber und der Berührungszauber.
Die Magie wirkt meistens über irgendeinen Gegenstand, ein Medium,
und kann oft auch an einen Gegenstand fixiert sein (z.B. Amulett,
Talisman,...). Ein solcher Gegenstand, der zusätzlich noch
bearbeitet wurde, wird Fetisch genannt (lat.: facititius = »künstlich
gemacht«). Der Analogiezauber ist eine magische Handlung
die aus der Ferne wirkt. Darunter versteht man, wenn durch eine
Handlung an dem gewünschten Ort eine Art Parallelhandlung auftritt.
Das heißt, dass die Handlung, die man ausführt an einem
anderen Ort dieselbe Wirkung hat. Der Berührungszauber tritt,
wie der Name schon sagt, nur bei direktem Körperkontakt auf.
Er steht oft in Verbindung mit Ritualen.
Im Vollzug eines Ritus vergegenwärtigt sich der Mensch ein
bedeutendes Ereignis oder eine wichtige Figur aus der Vergangenheit.
Jeder Ritus hat einen Mythos als Hintergrund. Für alle Situationen
gibt es einen speziellen Ritus:
· Opferriten (ehren die Ahnen und Kulturbringer)
· Übergangsriten (begleiten Höhepunkte und
Krisen des Lebens, wie z.B. Geburt, Heirat, Pubertät und Tod
... )
Den dahintersrehenden Gedanken könnte man so umschreiben: »Das
Alte stirbt, und der Ritus ist der Geburtshelfer des Neuen.«
Ein Teil dieser Vorstellung hat sich auch in der christlichen Religion
erhalten, wie zum Beispiel in den heiligen Sakramente oder der Verehrung,
die heiligen Reliquien entgegengebracht wird. Daran erkennt man, dass
die Ideen der Naturreligionen auch in spätere Glaubensvorstellungen
Eingang gefunden haben.
2.4 Dynamismus
Ein zusätzliches Merkmal der Naturreligionen ist der Dynamismus
( = Machtglaube). Das ist die Vorstellung einer Macht, genannt
»mana«, die von bestimmten Orten, Gegenständen,
Wesen, Personen oder Plätzen Besitz ergriffen hat. Diese Orte,
Personen oder Gegenstände sind für die Gläubigen
»tabu«.
2.5 Totemismus
Der Totemismus ist eine Religionsform, nach der zwischen einem
Menschen oder einer Personengruppe und einer bestimmten Tier- oder
Pflanzenart, dem »Totem«, eine geheimnisvolle, innige
Beziehung besteht. Man glaubt an eine gemeinsame Abstammung von
Mensch und Totem. Das Totem ist oft »tabu«, wenn es
ein Tier ist darf es zum Beispiel nicht gejagt und gegessen werden.
Dabei kann zwischen Tier- und Pflanzenkulten unterschieden werden.
Vor allem starke, mächtige und überlegene Tiere werden
religiös geschätzt. Meist wird dabei nicht das einzelne
Tier sondern die ganze Gattung verehrt. In den Pflanzenkulten kommt
besonders die Macht wachstümlichen und dauerhaften Lebens zur
Geltung.
Neben vielen anderen Gebräuchen glaubten manche Naturvölker
auch an die Notwendigkeit von Menschenopfern. Dem liegt der Gedanke
zugrunde, dass es kein Leben ohne Tod gibt und dass aus dem Tod neues
Leben entsteht. Dennoch sind innerhalb solcher archaischer Gemeinschaften
strenge soziale Regeln zu beobachten, beispielsweise dürfen Mitglieder
derselben Gruppe nicht heiraten. Interessant ist auch die Pflege der
Toten bei verschiedenen Naturvölkern. Der Umgang mit diesem Thema
lässt sich auf zwei Hauptformen reduzieren:
· vernichten und bannen
· konservieren und verehren
2.6 Mythos
Die Taten der Götter und Geister, sowie die Erschaffung der
Welt und des Menschen bilden die Hauptthemen der Mythen. Diese enthalten
die religiöse Überlieferung eines Volkes und werden durch
die Weitergabe an die nächste Generation bewahrt. In den Naturreligionen
setzt der Mythos auch die Normen für Ethik und Moral. Er beschreibt
die Welterkenntnis, die wir in Worten ausdrücken, in Bildern,
die dem Wissensstand des jeweiligen Stammes entsprechen.
2.7 Prädeistische Stufe
Unter der Prädeistischen Stufe versteht man eine Religiosität
ohne personifizierte Götter oder Dämonen. Die Menschen
glauben in diesem Fall an das Wirken heiliger Mächte. Es werden
Totems und heilige Gegenstände verehrt und bestimmte Rituale
ausgeführt. Religiöse Spezialisten sind fähig, mit
den Göttern in Kontakt zu treten oder mit den Geistern umzugehen.
Sie brauchen spezielle Kenntnisse und Erfahrungen. In den Naturreligionen
haben diese Rolle Priester, Schamanen, Zauberer, Regenmacher, Medizinmänner
und sakrale Könige inne.
2.8 Polytheismus
Polytheismus bedeutet das Verehren zahlreicher Gottheiten, einer
ganzen Götterwelt, wie etwa bei Kelten, Römern, Griechen,
Ägyptern, Germanen, Chinesen, und im Hinduismus. Der durch
das Christentum aufgebrachte Gottesbegriff ist auf polytheistische
Götter nicht anwendbar, und würde diese auch verfälschen.
Darüber was diese Götter sind, gibt es unterschiedliche
Auffassungen: Naturkräfte, reale Wesen, Archetypen, Prinzipien,
die Urkraft, symbolhafte Charaktere, personifizierte Eigenschaften,
innere Stimmen, oder der »Große Geist« (Manitu).
Götter werden auch als transzendente Wesen aufgefasst, die
sich Menschen offenbaren können. Die Form des Seins ist aber
unendlich. Götter sind vielfältig wie die Natur, und sie
sind überall. Das Göttliche ist in der Welt, nicht außerhalb,
die reinste Form des Lebens, es ist quasi die Welt selbst. Dabei
sind bei den Heiden Götter nicht der Mittelpunkt des Lebens.
Der Heide ist frei, er geht seinen Weg alleine, er ist Teil des
Göttlichen.
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