Nachfolge - Anleitung zu einem spirituellen
»Way of Life«
1.0 Leben nach dem Modell Jesu
Wer mir nachfolgt, wandelt nicht in der Finsternis, spricht der
Herr. Dies sind Worte Jesu Christi, durch welche wir ermahnt werden,
uns sein heiliges Leben zum Muster zu wählen, wenn wir wahrhaft
erleuchtet und von aller Blindheit des Herzens befreit werden wollen.
Unser Hauptgeschäft sei daher, Christi Leben zu betrachten.
(1/1/1)
2.0 Vom inneren und äußeren Frieden
Erhalte zuerst in dir selbst den Frieden; dann kannst du auch anderen
Frieden schaffen. Ein friedfertiger Mensch nützt der Welt mehr,
als ein hochgelehrter. Wer mit sich selbst in Frieden lebt, denkt
von niemandem Arges. Wer dagegen mit allem unzufrieden und immer
unruhig ist, den quälen abwechselnd Argwohn und Verdacht. Er
selbst hat nicht Ruhe und lässt auch anderen keine Ruhe. Er
redet oft, was er nicht reden sollte und unterlässt dasjenige,
was zu tun ihm sehr nützlich wäre. Er gibt darauf acht,
was andere zu tun schuldig sind, und vernachlässigt das, wozu
er selber verpflichtet ist. Habe daher zuerst eifrige Sorgfalt für
dich selbst; dann erst kannst du dich eifrig um deinen Nächsten
bemühen. (2/3/1)
3.0 Über die Liebe
Etwas Hohes ist die Liebe, und wahrhaft ein großes Gut, weil
sie allein das Schwere leicht macht, und alles Widrige mit Gleichmut
erduldet. Sie trägt die Last ohne Beschwerde, und macht alles
Bittere süß und wohlschmeckend. Die edle Liebe zu Jesus
treibt zu großen Werken an und weckt das Verlangen nach immer
größerer Vollkommenheit. Die Liebe strebt hinauf und
will durch nichts Niederes aufgehalten sein. Die Liebe will frei
und von jeder weltlichen Neigung entfernt sein, damit ihr Blick
nach innen nicht gehindert, damit sie durch zeitlichen Vorteil nicht
aufgehalten und durch keinen Nachteil niedergeschlagen werde.
Nichts ist süßer, nichts stärker, nichts erhabener,
nichts umfassender, nichts angenehmer, nichts vollkommener und besser
im Himmel und auf Erden, als die Liebe, weil sie aus Gott geboren
ist, und, über alles Geschaffene sich empor schwingend nur
in Gott ruhen kann. (3/5/3)
Der Liebende fliegt, läuft, freut sich, ist frei und wird
durch nichts aufgehalten. Er gibt Alles für Alles und hat Alles
in Allem, weil er in dem einen Höchsten ruht, das alles übertrifft,
und aus welchem jedes Gute fließt und hervorgeht. (3/5/4)
4.0 Äußere Pflicht und inneres Leben
Wer in sich zu leben und auf die äußeren Dinge einen
geringen Wert zu legen weiß, der sucht nicht besondere Orte,
und wartet nicht auf besondere Zeiten, um fromme Übungen anzustellen.
Ein innerlicher Mensch sammelt sich bald wieder, weil er sich nie
ganz in die Außenwelt verliert. Ihm schadet keine äußerliche
Arbeit, oder eine zur Zeit notwendige Beschäftigung; sondern
er weiß sich in die Dinge zu fügen, wie sie kommen. Wer
sein Inneres wohl geregelt und geordnet hat, der kümmert sich
nicht um das sonderbare und verkehrte Treiben der Menschen. Nur
insofern wird der Mensch zerstreut und am Guten gehindert, als er
sich durch die Außendinge fesseln lässt. (2/1/7)
Denk oft an jenen Ausspruch: »Das Auge wird nimmer satt vom
Sehen, und das Ohr nicht satt vom Hören.« Ziehe also
dein Herz vom Sichtbaren ab, und richte es auf das Unsichtbare;
denn die welche der Sinnlichkeit folgen, beflecken ihr Gewissen
und verlieren die Gnade Gottes. (1/1/5)
Quellenangabe: Thomas von Kempen, Vier Bücher von der Nachfolge
Christi, Einsiedeln, 1885. Der Autor (1380 – 1471), gilt als
herausragender Vertreter der »Devotio moderna«, einer
Frömmigkeitsbewegung des 14. und 15. Jahrhunderts, die ein
praktisches Christentum der tätigen Liebe an Stelle des bisherigen
klösterlichen Ideals vertrat. Das hier zitierte Werk entstand
1420. Die Übersetzung wurde geringfügig adaptiert, die
Überschriften wurden eingefügt.
Weitere ausgewählte Aphorismen bietet diese Thomas-von-Kempen-Site.
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