Milgram - Zwischen Gehorsam und Gewissen
1.0 Fragestellung
»Was passiert, wenn eine Person (X) einer anderen Person
(Y) den Auftrag gibt, einer dritten Person (Z) Schmerzen zuzufügen?
Und was passiert, wenn Person X gegenüber Person Y dabei als
Autorität auftritt und alle Verantwortung zu übernehmen
bereit ist?« Diesen Fragen ging ein amerikanischer Psychiater
in aufwendigen Studien nach, und kam zu Erkenntnissen über
die menschliche Bereitschaft Gehorsamkeit zu zeigen bzw. dem eigenen
Gewissen zu folgen. Am Ende stellt sich die Frage auch an uns: was
würde ich an der Stelle von Person Y tun, und wo ergeben sich
vergleichbare Situationen im Alltag?
1.1 Biographisches
Stanley Milgram wurde 1933 in New York geboren, promovierte in
Sozialpsychologie und lehrte an der Yale Universität und in
Harvard. Milgram wurde 1964 mit dem jährlichen sozialpsychologischen
Preis der »American Association for the Advancement of Science«
für seine Untersuchung des Obrigkeitsgehorsams ausgezeichnet.
Bis zu seinem Tode 1984 unterrichtete er als Professor an dem »Graduate
Center« der »City University of New York« das
Fach Psychologie.
2.0 Grundaufbau des Experiments
2.1 Ein Lehrer-Schüler-Experiment
Zwei Personen, von denen eine in das Experiment eingeweiht ist,
kommen in ein Psychologielabor der Universität von Yale, um
an einem Experiment über Erinnerungsvermögen und Lernfähigkeit
teilzunehmen. Durch ein manipuliertes Losverfahren wird die eingeweihte
Person zum »Schüler« ernannt und die Versuchsperson
zum »Lehrer«. Der »Schüler« nimmt in
einem Nebenzimmer auf einem Stuhl Platz und wird dort festgebunden,
um angebliche starke Bewegungen während der folgenden Elektroschocks
zu vermeiden. Der Versuchsleiter erklärt nun beiden, dass mit
dem Versuch die Auswirkung von Strafe auf die Lernfähigkeit
getestet werden soll. Dazu soll der »Schüler« Wortpaare
lernen und wird für jeden Fehler mit Stromschlägen bestraft,
wobei nach jeder falschen Antwort die Voltzahl um 15 Volt erhöht
wird.
2.2 Der »elektrische Stuhl«
Nachdem der »Lehrer« (die Versuchsperson) einen Probeschock
von 45 Volt bekommen hat, setzt er sich in dem anderen Raum vor
den Schockgenerator, an dem sich dreißig Schalter befinden
mit einer Skala von 15 Volt bis 450 Volt. Zusätzlich befindet
sich an der Skala noch eine Einteilung von »leichtem Schock«
bis »Gefahr: Bedrohlicher Schock«. Der »Lehrer«
soll jetzt nacheinander jede Frage vorlesen und bei falschen Antworten
einen Stromschock verabreichen, der jedes Mal um 15 Volt stärker
wird.
2.3 Die Versuchsperson zwischen Gehorsam und Gewissen
Während des gesamten Experiments werden dem »Schüler«
natürlich kein richtiger Stromstöße gegeben, was
der »Lehrer« (die Versuchsperson) aber nicht weiß.
Das wirkliche Ziel ist es nämlich, herauszufinden, wieweit
die Versuchsperson in einer konkreten, messbaren Situation geht,
in der ihr befohlen wird, einem protestierenden Opfer zunehmende
Qualen zuzufügen und wann sie sich weigert, weiterhin dem Versuchsleiter
(der wissenschaftlichen Autorität) zu gehorchen.
3.0 Die Resultate des Milgram-Experimentes
Die Auswertung der durchgeführten Versuche brachte ein schockierendes
Ergebnis: Ca. 2/3 der Versuchspersonen erteilten dem »Schüler«
des Versuchs den maximalen Stromstoß von 450 Volt! Darin zeigt
sich, welcher Grausamkeit ein Großteil der Menschen fähig
ist – und vor allem wie leicht Menschen zu bewegen sind einer
Autorität gegenüber gehorsam zu sein.
4.0 Neue Erkenntnisse durch Variation des Experiments
4.1 Veränderte Gehorsamsbereitschaft durch modifizierte Versuchsanordnung
Um diese Resultate zu überprüfen und die Bedingungen
zu erforschen, unter denen Menschen eher in der Lage sind einer
Autorität Widerstand zu leisten, wurden folgende Varianten
des Experimentes durchgeführt.
1. Schüler und Lehrer sitzen im gleichen Raum: Die Versuchspersonen
hören deutlich früher auf Schocks zu geben.
2. Der Versuch findet im Keller statt und der Schüler erwähnt
einen Herzfehler: Keine Veränderung des Verhaltens der Versuchspersonen
im Vergleich zum Ausgangsversuch.
3. Fehlende Autorität des Versuchsleiters: Deutlich früherer
Abbruch des Experiments und teilweise mehrmalige Verabreichung einer
niedrigen Schockstärke.
4. Frauen als Versuchsperson: Vergleichbares Ergebnis wie bei Männern.
5. Schüler bittet um den Schock: Keine Versuchsperson geht
höher, als es der Versuchsleiter zulässt.
6. Normale Person (d.h. keine wissenschaftliche Autorität)
als Versuchsleiter: sehr großer Widerstand der Versuchspersonen,
gehorsam zu sein.
7. Autoritätsperson (Versuchsleiter) als Opfer: Sobald der
Versuchsleiter sagt, dass er den Versuch beenden möchte, brechen
die Versuchspersonen ab und eilen teilweise in das Nebenzimmer,
um ihm zur Hilfe zu kommen.
4.2 Schlussfolgerungen
Die Variationen des Experimentes zeigen, wo die Faktoren liegen,
die entscheiden ob Menschen gehorsam sind oder ihrem eigenen Urteil
vertrauen:
So lange die Versuchsperson den Versuchsleiter als Autorität
akzeptiert, fällt es ihr schwer ungehorsam zu sein. Vor allem
da diese vermeintliche Autorität angibt, die Verantwortung
für etwaige Konsequenzen zu übernehmen. Die eigenen Bedenken
werden häufig dem Druck dieser Autorität untergeordnet.
Wird die Autorität des Versuchsleiters untergraben zeigen
die Versuchspersonen weniger Gehorsam und folgen eher ihrem eigenen
Urteil.
Außerdem hat die räumliche Nähe des Opfers einen
wichtigen Einfluss auf das Verhalten der Versuchspersonen: Wenn
man das Opfer nicht sieht ist es leichter ihm Stromstöße
zu versetzen als wenn die Person der man Leid zufügt im selben
Raum sitzt.
5.0 Persönliches Fazit
Dieses Experiment zeigt, dass die Menschheit nicht gerade nachdenkt
bei einem Versuch dieser Art, weil doch jeder wissen sollte, dass
kaum jemand einen Stromstoß dieser Stärke ohne schwerwiegende
Verletzung überstehen kann. Die Leute denken also nicht oder
sie vertrauen ihrem eigenen Urteil zuwenig, sobald irgend eine »große
Autorität« ins Spiel kommt.
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