Suizid - soziologische und psychologische
Zugänge
1.0 Definitionen
»Als Suizid, Freitod oder Selbsttötung bezeichnet man
die absichtliche – oft vorher angedrohte – Vernichtung
des eigenen Lebens durch Vergiften, Erhängen, Ertränken,
Erschießen, Öffnen der Pulsadern etc. Zu diesem Phänomen
kommt es in Verbindung mit Psychosen, vielfach auch bei endogener
Depression, aber auch bei geistig gesunden Menschen, als Endpunkt
einer abnormen seelischen Entwicklung.« (nach: Roche Lexikon
Medizin).
»Selbstmord, Freitod, Suizid, die absichtliche Vernichtung
des eigenen Lebens, erklärbar als auf freiem Entschluss beruhend
(in ausweglos erscheinenden Situationen; bei Überzeugung von
der Sinnlosigkeit des weiteren Lebens) oder als krankhafte Zwangshandlung
(in Depressionen und Psychosen). Wieweit die Häufigkeit des
Suizids von sozialen Faktoren abhängt, ist nicht abschließend
geklärt.« (aus: Bertelsmann Lexikothek)
»Selbstmord oder der Versuch dazu, ist fast nie Ausdruck
des Todestriebes, sondern ein Hilfeschrei bei gleichzeitigem Selbsterhaltungstrieb.«
(Jutta Schütz, Psychotherapeutin)
2.0 Rechtliche Situation
Nach österreichischem Recht (§78 StGB) ist Verleitung
und Beihilfe zum Suizid strafbar. Nicht strafbar ist nach österreichischem
Recht der Versuch des Suizids.
3.0 Daten, Deutungsversuche und Methoden
3.1 Statistische Daten
Der Suizid ist nach dem Unfalltod die zweit häufigste Todesursache
in der Altersschicht bis 20 Jahre. In Deutschland sterben zur Zeit
täglich drei Kinder und Jugendliche durch Suizid. Weitere 40
Kinder versuchen jeden Tag sich das Leben zu nehmen. Die Anzahl
der jugendlichen Selbstmorde ist in Großstädten doppelt
so hoch wie auf dem Lande. Besonders hervorzuheben sind hier Städte
wie Berlin und Frankfurt. Nach neuesten Informationen liegt die
Zahl der Suizide auf dem Land wo sich Drogenhochburgen befinden,
50 % über dem normalen Schnitt.
3.2 Geschlechtsspezifische Unterschiede
Sehr interessant ist aber auch, dass sich Mädchen drei mal
so oft das Leben nehmen wollen wie Jungen. Dagegen führen bei
Jungen die Suizidversuche drei mal öfter zum Tode wie beim
weiblichen Geschlecht. Gründe dafür liegen in der Art
des Suizidversuches. Denn Jungen bevorzugen die »harte Methoden«,
wie z. B. verbrennen, erhängen oder erschießen. Die Selbstmordgefahr
ist bei Schülern höher als bei Jugendlichen, die sich
bereits in der Berufsausbildung befinden.
3.3 Dunkelziffer
Die meisten Selbstmorde passieren im Frühjahr und im Herbst
und überwiegend montags. Keine Rolle spielt jedoch, dagegen
häufigen Vermutungen, die soziale Schicht. Genaue Zahlen über
Suizide gibt es leider nicht, da Experten die Dunkelziffer um ein
vielfaches höher schätzen als die Zahlen in den Statistiken
vermuten lassen. Die Gründe für die Dunkelziffer liegen
z.B. darin, dass Eltern aus Angst vor Schuldzuweisungen durch die
Gesellschaft den Selbstmord als Unfall oder Unglück hinstellen.
3.4 Der Einfluss der Kultur
In den meisten Religionen und Kulturen wir Suizid immer noch als
Schande oder nichts Normales bezeichnet. Früher wurde Selbstmördern
die Beisetzung auf Friedhöfen nicht gestattet. In manchen Kulturen
gehört der Suizid zu einer Art »Ehrenkodex«. Man
denke nur an die japanischen Kamikaze-Flieger oder Personen die
Harakiri begehen.
3.5 Selbstmorddrohungen
Der bekannte Psychotherapeut und Suizidforscher Erwin Ringel sieht
hinter der Ankündigung, sich das Leben zu nehmen andere Motive,
wie z.B.
· den Wunsch nach Hilfe von den Angehörigen
· den Versuch die Umgebung unter Druck zu setzen oder aber auch
zu informieren
Es ist deshalb ein Irrtum, dass Menschen, die von Selbstmord sprechen,
es nicht tun. Acht von zehn Suizidanten haben ihre Tat angekündigt!
85 % derer, die einen Suizidversuch begangen haben werden wieder
versuchen sich zu töten. Mit einer statistischen Wahrscheinlichkeit
von 10 % wird dieser erneute Selbstmordversuch tödlich enden.
3.6 Methoden
Die Methoden, die Kinder und Jugendliche anwenden, sind unterschiedlichster
Art. Sie scheiden aus dem Leben durch
· Erhängen 24 %
· Erschießen 24 %
· Vergiften 22 %
· Ertränken 12 %
· Sonstige Methoden (z.B. Sturz aus großer Höhe, Öffnen
von Pulsadern, sich vor einen Zug legen) 28 %
4.0 Ursachen und Hintergründe
Die Frage der betroffenen Eltern nach dem »Warum?«
bleibt meist unbeantwortet. Nur jeder zehnte jugendliche Selbstmörder
hinterlässt einen Abschiedsbrief. Um die Frage warum Kinder
und Jugendliche Selbstmord begehen zu beantworten, muss man zwischen
»Ursachen« und »Auslösern« unterscheiden.
Diese eigentlichen Ursachen des Suizids bei Kindern und Jugendlichen
liegen meist in der frühen Kindheit. Fehler in der Erziehung
wie
· Zurücksetzen oder Vernachlässigung des Kindes
· Misstrauen
· ständige Kritik
· angstfördernde Erziehung
· zu hohe Leistungserwartung
· gestörte Familienverhältnisse
sind in der Regel die wirklichen Gründe für einen Suizid.
5.0 Auslösende Faktoren
5.1 Häufige Auslöser
Auslöser für einen Suizid sind meist aktuelle Anlässe
wie z.B.
· Verlust eines Elternteiles durch Scheidung oder Tod
· Probleme in der Schule oder Beruf
· Drogenprobleme
· Kriminalität (Diebstahl)
· Verkehrsunfall
5.2 Wohlstandsverwahrlosung
Diese Auslöser sind meist nur der letzte Tropfen im Fass,
der dieses dann zum Überlaufen bringt, wobei sich daraus oft
eine unüberlegte Handlung ergibt. Weitere wichtige Faktoren
für einen Suizid bei jungen Menschen sind unter anderen Wohlstand:
Trotz steigenden Wohlstand nahm in Ländern wie Deutschland
und Österreich die Zah der Suizide zu. Dagegen liegt in Ländern
mit niedrigen Lebensstandard die Selbstmordrate um einiges niedriger.
In unserer konsumorientierten Wohlstandsgesellschaft bleibt die
Frage nach dem »Wozu?« des Wohlstandes bzw. des Lebens
oft völlig unbeantwortet. Das Wort »Freude« scheint
für viele junge Leute ein Fremdwort geworden zu sein. Sie glauben,
alles zu besitzen und sind dennoch frustriert, weil »Haben«
allein nicht glücklich macht.
5.3 Liebeskummer
Dadurch, dass Jugendliche in der Familie keine Geborgenheit und
Liebe mehr finden, suchen sie sich diese bei einem Freund oder einer
Freundin. Geht auch diese Liebe verloren, fallen sie in eine tiefe
Resignation oder fühlen sich auf ein Abstellgleis geschoben.
Das kann zu Panikhandlungen führen, mit Selbstmord als letzten
Ausweg. Oft wird der Suizid auch als Racheakt benutzt, um beim Partner
ein schlechtes Gewissen oder ein Schuldgefühl zu verursachen.
5.4 Nachahmung
Dabei handelt es sich um ein klares »Lernen am Modell«
in der Pubertät. Schauspieler, Freunde, Eltern werden imitiert.
Das kann bis zum Selbstmord führen. 1981 lief im Fernsehen
z.B. die Serie »Tod eines Schülers«, die damit
begann, dass sich ein Schüler vor einen Zug warf. Daraufhin
stiegen die Eisenbahnsuizide enorm.
5.5 Depression
60 % aller Selbstmörder litten unter Depressionen. 16 % der
Suizide sind auf krankhafte Depressionen zurückzuführen.
Den Betroffenen erscheint alles grau in grau. Nichts kann ihnen
mehr Freude machen. Sogar Sachen, die früher Spaß machten,
bereiten jetzt nur noch Qualen. Der Tod erscheint als Erlösung,
weil der Eindruck entsteht, dass es etwas Schlimmer als das Leben
gar nicht mehr geben kann. Zum Unterschied dazu gebt es die sogenannte
»heitere, lachende« Depression. Die Betroffenen verbergen
ihr seelisches Elend hinter einer Maske und erscheinen fröhlich
und sorglos. Doch plötzlich halten sie ihre Qualen nicht mehr
aus und nehmen sich das Leben. Diese jungen Menschen sind besonders
gefährdet, weil niemand die Gefahr erkennt, niemand bemerkt
eine Veränderung. Deshalb haben diese Kinder keine Chance,
dass ihnen geholfen wird.
5.6 Kindesmisshandlung
Gewalt gegen Kinder und Jugendliche ist ein sehr weit verbreitetes
Problem, über das zu wenig gesprochen wird. Die Betroffenen
schämen sich, darüber zu sprechen oder werden mit Drohungen
zum Schweigen gebracht. Deshalb stehen diese Kinder und Jugendliche
ohne Hilfe da und wissen keinen anderen Ausweg aus ihrer Lage als
den Suizid.
6.0 Anzeichen für Suizidgefahr
Um einem Selbstmord bei Kindern und Jugendlichen vorzubeugen, muss
man sehr genau beobachten. Es gibt kein Patentrezept, das generell
angewandt werden kann. Denn jeder Fall liegt anders. Fast jeder
Suizid kündigt sich durch Zeichen und Handlungen an die man
erkennen muss. Diese könnten sein
· Schule schwänzen
· weglaufen von zu Hause
· Ess- und Magersucht
· Diebstähle
· Abbrechen von Freundschaften
· Verschenken von Lieblingssachen
· Intressenlosigkeit an liebgewonnenen Hobbys
7.0 Schritte zum Selbstmord
In der Suizidforschung spricht man vom »präsuizidalen
Syndrom«, das fast immer dem Selbstmord vorausgeht. Darunter
versteht man das Zusammentreffen verschiedener psychischer Störungen
zu einem Krankheitsbild. Dahinter steht die Beboachtung, dass Menschen
einen bestimmten psychischen Prozess durchlaufen, ehe sie sich selbst
töten. Die Kenntnis der einzelnen Schritte auf diesem Weg zum
Selbstmord, kann helfen, Anzeichen richtig zu deuten und rechtzeitig
einzugreifen.
7.1 Einengung der Gefühle
Das Leben wird nicht mehr als Gemisch aus Freud und Leid gesehen,
sondern die gesamte Wahrnehmung verdüstert sich zum Negativen
hin.
7.2 Aggressionsumkehr
Agressionen werden nicht nach außen abreagiert, sondern richten
sich gegen sich selbst, die eigene Person.
7.3 Selbstmordphantasien
Diese Etappe lässt wiederum drei Phasen erkennen:
· In der ersten Phase tauchen Gedanken wie: »Ich möchte
tot sein...« auf
· In der nächsten Phase wird der vage Plan gefasst: »Ich
möchte mich selbst töten«
Dieser Gedanke könnte schon zwanghaft werden, und führt
dann unter Umständen zur
· dritten Phase der Selbstmordfantasien, in der bereits die Frage
»Wie und Wann werde ich es tun?« im Mittelpunkt steht.
Der Selbstmord wird nun bereits in allen Details ausgemalt, und
es wird eventuell auch darüber gesprochen...
8.0 Wie kann man helfen? - Prävention
Wer helfen will, muss geäußerte Selbstmordabsichten
erkennen und ernst nehmen Man muss wissen, warum dem Jugendlichen
das Leben so unlebenswert erscheint. Die helfende Person sollte
auf die Konflikte der jungen Menschen eingehen und sich viel Zeit
nehmen. Sie muss dem Gefährdeten aktiv helfen, aus seiner Notlage
herauszukommen.
8.1 Zwischen Lebenswillen und Todessehnsucht
Es ist ein Irrtum, zu glauben, dass ein zum Suizid entschlossener
Jugendlicher nicht mehr von seinem Vorhaben abzubringen ist. Die
meisten von ihnen sind hin und her gerissen zwischen dem Wunsch
zu leben und den Wunsch zu sterben. Meist dominiert doch der Lebenswille.
Dies belegen Befragungen von Suizidanten nach einen Selbstmordversuch,
in dem sie angeben, diesen zu bereuen und dass sie sehr gerne weiter
leben wollen.
8.2 Die Rolle der Eltern
Eine Schlüsselrolle bei der Verhütung von Selbstmorden
kommt den Eltern zu, da ja, wie vorher schon erwähnt, die Ursachen
für die psychischen Fehlentwicklung von Kindern in der frühesten
Jugend liegt. Das Kind braucht, um sich entwickeln zu können,
einfach nur die einfühlsame Liebe der Eltern. Es darf keine
Angst vor ihnen haben, muss sie aber jedoch respektieren. Die Eltern
sollen das Kind so annehmen, wie es ist. Sie müssen sich auch
damit abfinden, wenn das Kind anders als erwartet ist. Das Kind
muss wissen, dass die Eltern immer für ihn da sind. Jedoch
dürfen Eltern ihre Kinder nicht als Eigentum betrachten. Ein
Kind, das von Anfang an Liebe, Zärtlichkeit, Wärme, Schutz,
Ehrlichkeit und Toleranz erfährt, wird sich nicht das Leben
nehmen wollen.
8.3 Herausforderung für die Gesellschaft
Natürlich ist auch die Gesellschaft gefragt. Obwohl sich in
der Österreich jährlich etwa 1000 Menschen das Leben nehmen,
ist Selbstmord immer noch ein Tabuthema. Es gibt von öffentlicher
Seite keine Hilfsangebote und keine Aufklärungskampagne. Zwar
gibt es eine Suizidforschung, doch deren Appelle finden nur wenig
Interesse. Gefragt ist das Engagement der Mitmenschen, das Selbstwertgefüh
der Jugendlichen aufzubauen, ihnen wieder Mut zum Leben zu vermitteln
und ihnen Zukunftsperspektiven zu vermitteln. Bei Schülern
ist es wichtig, dass die Übergänge zwischen den Lebensbereichen
Familie, Schule und Freundeskreis fließend sind. Auch wenn
sie unterschiedliche Anforderungen stellen.
8.4 Therapeutische Möglichkeiten
Zu einer dauerhaften Suizidvorbeugung gehört auch, dass der
Gefährdete über den Sinn seines Leidens nachdenkt, sich
überlegt, wo es im Leben doch noch Freude für ihn gibt.
Der junge Mensch muss sein Bewusstsein ändern. Das alles kann
er am besten bei einem Therapeuten in einer Gesprächstherapie.
Für betroffene Jugendliche, Kinder und deren Eltern stehen
vielfältige private Hilfsangebote, wie Telefonseelsorge und
Selbsthilfegruppen zur Verfügung.
9.0 Abschließendes Fazit
Jede Lebensgeschichte ist anders, doch alle Selbstmörder hatten
eines gemeinsam: Sie hatten keine Hilfe, fanden kein Verständnis
und waren in ihrem kurzen Leben einsam. Wir, ob als Eltern, Schule,
Kirche oder Gesellschaft, müssen versuchen, positivere Vorbilder
zusein, aber wir müssen auch unsere Schwächen zeigen können.
Letzlich lautet die Herausforderung, sensibler mit den Nöten
junger Menschen umzugehen und ihnen zu zeigen, dass das Leben schön
sein kann.
Natascha Jansky (April 2003, 2AD)
Anhand von Informationen von
Klinikum-Grosshadern.
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