Euthanasie - Sterbehilfe versus Sterbebegleitung
1.0 Aktive Sterbehilfe
1.1 Definition
»AKTIVE STERBEHILFE – EUTHANASIE ist das aktive, bewusste
ärztliche Eingreifen zur Beendigung des Lebens auf ausdrücklichen
Wunsch des Patienten. Ziel der Handlung ist es, den schnellen Tod
des Patienten herbeizuführen – zu töten.«
1.2 Einleitung
Das Wort »Euthanasie« ist aus dem Griechischen hergeleitet
und bedeutet so viel wie »einen leichten, schönen Tod
haben«. Das heißt historisch betrachtet, hat der Begriff
»Euthanasie« eine andere Bedeutung als aktive Sterbehilfe.
Euthanasie bedeutet »ein guter Tod«. Der Begriff könnte
vom Wort her ein Synonym für das sein, was das Anliegen der
Hospizbewegung ist. Viele Bewegungen bemühen sich bei Menschen
um ein gutes Sterben. Dabei wird von den Mitgliedern der Hospizbewegung
immer wieder betont, dass sie aktive Sterbehilfe grundsätzlich
ablehnen und in ihrer eigenen Aktivität die entscheidende Alternative
zur aktiven Sterbehilfe sehen. Die menschliche Kulturgeschichte
ist voll von Zeugnissen und Auseinandersetzungen über die Frage
eines guten Todes des Menschen. Namhafte Historiker und Philosophen
haben sich für einen angenehmen, vom Arzt herbeigeführten
Tod ausgesprochen, noch mehr aber haben eindeutig dagegen Stellung
bezogen. In Deutschland wird die Diskussion über die aktive
Sterbehilfe mit besonderer Sensibilität geführt. Zum Teil
liegt es daran, dass viele Menschen vor und während des letzten
Krieges von deutschen Ärzten umgebracht wurden – ihrer
Rasse, ihrer Hautfarbe, einer Diagnose wegen oder weil sie physisch
oder psychisch behindert waren.
Die Begriffe Euthanasie und aktive Sterbehilfe werden in der medizinischen
Fachliteratur meistens dann verwendet, wenn das Leben eines schwerkranken
Patienten durch Injektion von letalen Arzneimitteldosen, meistens
eine Kombination von Medikamenten wie Morphin oder Kalium, vom Arzt
beendet wird. Die aktive Sterbehilfe ist in Deutschland wie in den
meisten westlichen Ländern verboten. Obwohl in der Geschichte
die Euthanasie immer wieder als gesellschaftliches Problem auftaucht,
wird ihre Legalisierung in der medizinischen Fachwelt fast geschlossen
mit der Begründung abgelehnt, dass ihre Konsequenzen nicht
zu übersehen sind.
1.3 Argumente, die für eine aktive Sterbehilfe sprechen
könnten
1.3.1 Das Recht des Patienten auf Autonomie
Ist es nicht so, dass wenn nun ein schwerkranker Patient, erschöpft
und geplagt von Symptomen, die nicht mehr unter Kontrolle zu bringen
sind, völlig auf die Hilfe anderer angewiesen sagt: »Ich
leide, ich kann nicht mehr, hilf mir, damit es vorbei ist«
– ist diese Bitte dann nicht verständlich und wohlbegründet?
Wenn der Patient nun zusätzlich enttäuscht ist: von Angehörigen,
die sich nicht länger kümmern, vom Gesundheitswesen, von
den Ärzten, die nichts mehr zu bieten haben - wenn er das Gefühl
hat, dass er seiner gesamten Umgebung nur zur Last fällt - , sollte
man seine Bitte nicht respektieren?
1.3.2 Unerträgliche und ungelinderte Schmerzen und andere
physische und psychische Probleme
Viele, die die letzten Wochen und Tage mit einem Sterbenden verbracht
haben, berichten, dass es für den Patienten grausam war. Dies
kann von vielen Angehörigen, Schwestern, Ärzten und anderen
bestätigt werden. Die Schmerzen werden unerträglich, eine
Reihe anderer Symptome oder Probleme sind nicht mehr zu kontrollieren:
mag es sich um Übelkeit, Erbrechen, Schwäche, Atemnot
oder andere physische Symptome handeln oder auch um psychische Probleme
wie Angst, Depressionen, Isolation, Hysterie oder ähnliches.
1.3.3 Die Aufgabe der Ärzte, das Beste für ihre Patienten
zu tun
Wenn die Not und die Qualen des Patienten nicht mehr unter Kontrolle
zu bringen sind, ist es dann nicht die Pflicht des Arztes, dem Patienten
zu helfen, auch wenn dies das Herbeiführen eines schnellen
Todes bedeutet?
1.3.4 Die Ärzte haben längst angefangen, mit Leben und
Tod zu manipulieren
Bei der Betrachtung der modernen Medizin wird deutlich, dass ein
Teil der heutigen medizinischen Praxis darin besteht, Entscheidungen
über Leben und Tod zu treffen. Ärzte treffen fast täglich
Entscheidungen, das Leben eines Patienten unter bestimmten Umständen
nicht künstlich zu verlängern. Diese Entscheidungen haben
in vielen Fällen den Tod des Patienten innerhalb weniger Tage
oder Stunden zur Folge. Für das ethische Denken ist es sehr
schwierig, in solchen Fällen zwischen »Sterbenlassen«
und »Töten« zu unterscheiden. Dieser ethische Konflikt
wird noch deutlicher am Anfang des Lebens, indem der Mutter das
Recht zugesprochen wird, über das Leben des ungeborenen Kindes
zu entscheiden. Sollte es moralisch und ethisch weniger vertretbar
sein, wenn ein Arzt einem schwer leidenden Patienten auf dessen
ausdrückliche Bitte hilft, aus dem Leben zu scheiden, als das
Leben eines Kindes zu beenden, das bestimmt hätte leben wollen?
1.4 Argumente, die gegen aktive Sterbehilfe sprechen
1.4.1 Aktive Sterbehilfe ist verboten und strafbar
Aus juristischer Sicht steht die »Tötung auf Verlangen«
bisher in fast allen Ländern prinzipiell unter Strafe. Eine
Ausnahme ist der australische Bundesstaat Northern Territory, der
1995 beschloss, dem Arzt in bestimmten Fällen eine Tötung
auf Verlangen zu erlauben. Dieser Beschluss wurde 1997 vom australischen
Bundesgerichtshof wieder aufgehoben. Eine weitere Ausnahme stellt
die rechtliche Lage in den Niederlanden dar, die aktiver Sterbehilfe
straffrei stellt, wenn der Fall nach bestimmten Spielregeln abgewickelt
wurde (mehr dazu weiter unten). Es wird immer wieder Ärzte
geben, die ein geringes Bewusstsein und wenig Kompetenz in medizinischer
Ethik besitzen. Besonders diese Ärzte müssen wissen, welche
Entscheidungen sie nach dem Gesetz treffen sollten und welche sie
nicht treffen sollten, was strafbar ist und was nicht strafbar ist.
1.4.2 Berufsethische Aspekte
Viele Ärzte fürchten, dass ihnen durch eine Erlaubnis
zu töten der ethisch-moralische Halt verloren gehen könnte,
den sie in ihrem Berufsalltag dringend benötigen, und dass
darüber hinaus aus der Erlaubnis eine Pflicht zum Töten
entstehen könne. Autonomie und Selbstbestimmung eines Menschen
können nicht dazu führen, einen Dritten dazu zu verpflichten,
zu töten. Ein Arzt, der bewusst einen Patienten tötet,
auch wenn dieser schwer krank ist und schwer leidet, muss mit erheblichen
Konsequenzen rechnen. Er sieht einer Freiheitsstrafe entgegen; eine
Ausübung seines Berufes wird ihm weiterhin kaum noch gestattet
werden.
1.4.3 Menschen werden vorzeitig sterben
Erfahrungen zeigen, dass die Möglichkeit zur aktiven Sterbehilfe,
die eigentlich nur bei sterbenden und schwerst leidenden Patienten
angewandt werden darf, auch in Fällen genutzt wird, in denen
die Patienten nicht sterbend und nicht schwerst leidend sind. Es
darf keine Praxis akzeptiert werden, die dazu führt, dass Menschen
getötet werden, die statt aktiver Sterbehilfe eine Hilfe zum
Leben benötigt hätten.
1.4.4 Menschen können es als ihre Pflicht ansehen, vorzeitig
aus dem Leben zu scheiden
Menschen können es als ihre Pflicht ansehen, aus dem Leben
zu scheiden, weil sie glauben, von ihren Angehörigen, von ihrer
Umgebung oder von der Gesellschaft nicht mehr ertragen zu werden.
Patienten können alt und krank werden und sich einsam und verlassen
fühlen. Durch scheinbar unerträgliches chronisches Leiden
suchen sie aus Verzweiflung nach Auswegen. Wenn der Arzt die Erlaubnis
hätte, unter solchen Umständen aktive Sterbehilfe zu leisten,
könnte ein solcher Patient eine solche Lösung suchen,
wenn der Arzt und die Gesellschaft das Signal gäben, aktive
Sterbehilfe sei eine bequeme Lösung aus diesem Dilemma.
1.4.5 Schmerzen, Angst und Not können durch gute Palliativmedizin
gelindert werden
Die Mehrheit der Patienten, die vor dem natürlichen Tod getötet
werden möchten, geben als Hauptgrund Schmerzen und unerträgliches
Leiden an. Sie leiden unnötig, weil sie keine kompetente palliative
Behandlung, Pflege und Fürsorge bekommen. Die Alternative,
wenn Inkompetenz und fehlendes Interesse zu unerträglichem
Leiden führt, kann nicht darin liegen, diesen Menschen zu zeigen,
dass sie für uns nichts mehr wert sind, indem wir sie töten.
1.4.6 Die Möglichkeit von Euthansie zeigt diesen Patienten,
dass sie für uns nichts mehr wert sind
Eine Gesellschaft, in der der Arzt, aus welchen Motiven auch immer,
nicht mehr das Leiden bekämpft, sondern den Leidenden tötet,
ist auf dem besten Weg zu einer Menschenfeindlichkeit, die im »Kranken«
und dem »Leiden« nur das »Unnütze«
sieht, das durch die Euthanasie beseitigt werden soll. Der Wert,
den ein Mensch seinem Leben beimisst, hängt entscheidend von
dem Wert ab, den andere seinem Leben beimessen. Seine Würde
hängt wesentlich vom Ansehen ab, das er in den Augen der Umwelt
hat. Wenn wir ihm zu verstehen geben, dass wir sein Leben so wenig
achten, dass wir bereit sind, ihn zu töten, nehmen wir bereits
im voraus seiner Existenz Würde und Wert. Nicht mehr die Erlösung
des anderen, sondern die Erlösung vom anderen würde angestrebt.
1.5 Die Erfahrungen in den Niederlanden
In den Niederlanden besteht seit Ende der 70er Jahre die Möglichkeit,
aktive Sterbehilfe auszuüben. Entgegen der Meinung vieler ist
sie nicht legalisiert, d.h. dass derjenige, der eine aktive Sterbehilfe
durchführt, sich theoretisch strafbar macht. In der Praxis
verzichtet man aber in den Niederlanden in den letzten 20 Jahren
in diesen Fällen auf eine Strafverfolgung. Dieser Verzicht
soll aber nur unter bestimmten Voraussetzungen stattfinden.
1.5.1 Rahmenbedingungen für legale Euthanasie
Voraussetzungen, die die Straffreiheit bei aktiver Sterbehilfe
gewährleisten, sind:
1. Dem Arzt muss ein ausdrückliches, freies und beständiges
Verlangen des über seinen Zustand vollständig unterrichteten
Patienten nach Tötung vorliegen.
2. Es muss die Rede sein von einem untragbaren Leiden des Patienten
3. Der Patient muss sich in einem unheilbaren Zustand befinden.
4. Der Arzt muss einen weiteren, unabhängigen Mediziner zur
Rate ziehen.
5. Nur ein behandelnder Arzt, oder ein Arzt der mit diesem gemeinsam
beratschlagt hat, darf dem Gesuch des Patienten nach Sterbehilfe
Gehör schenken.
6. Auf all sein Handeln muss der Arzt die größtmögliche
Sorgfalt legen.
7. Der Arzt hat einen ausführlichen Bericht über den gesamten
Fall zu erstatten.
Dieses Verfahren nennt man in den Niederlanden »Meldeprozedur
– Euthanasie«. Die Meldeerstattung gilt jedoch ebenso
für medizinisch assistierten Suizid sowie für Tötung
des Patienten ohne dessen ausdrückliche Bitte.
1.5.2 Intentionen des Gesetzgebers
Ziele des Gesetzgebers bei der Einführung dieser Meldepraxis
waren:
1. Sicherstellung der Überprüfbarkeit von Handlungen,
die eine Beendigung des Lebens des Patienten zur Folge haben.
2. Den Ärzten über ihre lebensbeendende Handlungen Auskunft
zu geben.
3. Das Wissen über sorgfältiges medizinisch-ethische Handeln
zu vergrößern.
4. Die Vereinheitlichung der Meldeweise.
Die Kriterien, bei deren Erfüllung der Arzt mit Straffreiheit
rechnen kann, wurden 1984 von der Königlich Niederländischen
Ärztekammer, in der die überwiegende Mehrheit der niederländischen
Ärzte organisiert ist, veröffentlicht. Voraussetzung für
das Aussetzen einer Strafverfolgung muss die Erfüllung aller
Kriterien sein.
1.5.3 Erfahrungen mit der »Meldeprozedur-Euthanasie«
1983 wurden 10 Fälle gemeldet, davon wurden 2 strafrechtlich
verfolgt; 1989 waren es bereits 338 Fälle, von denen einer
strafrechtlich verfolgt wurde; 1994 wurden von 1427 gemeldeten Fällen
10 strafrechtlich verfolgt.
Da ganz offensichtlich nicht alle Fälle gemeldet wurden, wurden
Anfang der 90er Jahre zwei breit angelegte Studien durchgeführt
und veröffentlicht, mit deren Hilfe man einen genaueren Überblick
über die tatsächliche Anzahl der Euthanasiefälle
zu gewinnen hoffte.
1.5.4 Etablierung einer Gegenbewegung
Anfang der 60er Jahre kam es zu einer Gegenbewegung, an der 2 Ärztinnen
– Elisabeth Kübler-Ross und Cicely Saunders – entscheidenden
Anteil haben. Elisabeth Kübler-Ross war bahnbrechend für
die Kommunikation mit Sterbenden und Cicely Saunders gründete
1967 mit dem St. Christopher’s Hospice das erste Hospiz der
modernen Hospizbewegung. ie Hospizidee ist der zentrale Ausgangspunkt
für die Hospizbewegung und die Palliativmedizin. Sie ist eine
die gesamte Gesellschaft beeinflussende Bewegung, dazu gehört
· ein neuer Umgang mit Leben, Sterben und Tod,
· ein neuer mitmenschlicher Umgang durch Wiedergewinnen von Familienzugehörigkeit
und Nachbarschaftshilfe,
· das Erhalten von Autonomie und Würde Schwerstkranker und
Sterbender.
· Dies kann überall realisiert werden, sei es zu Hause, im
Altenheim, im Krankenhaus, auf einer Palliativstation oder im Hospiz.
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