› Buddhismus - Auf der Suche nach Erleuchtung

1.0 Schwarznasiger Buddha

Eine Nonne, die nach Erleuchtung strebte, modellierte eine Statue des Buddha und überzog sie mit Blattgold. Wohin sie auch ging, immer hatte sie ihren goldenen Buddha bei sich. Jahre vergingen, und die Nonne, die immer noch ihren Buddha mit sich herumtrug, ließ sich in einem kleinen Tempel nieder, der sich in einem Lande befand, in dem es viele Buddhas gab, und jeder von ihnen hatte seinen eigenen Schrein. Die Nonne wollte vor ihrem goldenen Buddha Weihrauch verbrennen. Da ihr der Gedanke, dass der Weihrauchduft sich bis zu den anderen hin ausbreiten könnte, gar nicht gefiel, erfand sie einen Schornstein, durch den der Rauch nur zu ihrem Standbild hochstieg. Dieser schwärzte die Nase des goldenen Buddha und machte ihn überaus häßlich.

2.0 Der Dieb, der zum Jünger wurde

Eines Abends, als Shichiri Kojun dabei war, Sutras zu rezitieren, drang ein Dieb mit einem scharfen Schwert bei ihm ein und forderte Geld oder Leben. Shichiri sagte zu ihm: »Störe mich nicht. Du kannst das Geld in dieser Lade finden.« Dann fuhr er mit seiner Rezitation fort. Kurz darauf unterbrach er sich und rief: »Nimm nicht alles. Ich brauche noch etwas, um morgen Rechnungen zu bezahlen.« Der Eindringling nahm den größten Teil des Geldes an sich und wandte sich zum Gehen. »Bedanke dich, wenn du ein Geschenk erhältst«, sagte Shichiri. Der Mann dankte ihm und machte sich davon. Einige Tage später wurde der Bursche gefangengenommen und gestand unter anderem den Überfall auf Shichiri. Als Shichiri als Zeuge gerufen wurde, sagte er: »Dieser Mann hat nichts gestohlen, wenigstens mir nicht. Ich gab ihm das Geld, und er bedankte sich dafür.« Nachdem der Mann seine Strafe im Gefängnis abgesessen hatte, ging er zu Shichiri und wurde sein Schüler.

3.0 Schmutzige Straße

Tanzan und Ekido wanderten einmal eine schmutzige Straße entlang. Zudem fiel auch noch heftiger Regen. Als sie an eine Wegbiegung kamen, trafen sie ein hübsches Mädchen in einem Seidenkimono, welches die Kreuzung überqueren wollte, aber nicht konnte. »Komm her, Mädchen«, sagte Tanzan sogleich. Er nahm sie auf die Arme und trug sie über den Morast der Straße. Ekido sprach kein Wort, bis sie des Nachts einen Tempel erreichten, in dem sie Rast machten. Da konnte er nicht mehr länger an sich halten. »Wir Mönche dürfen Frauen nicht in die Nähe kommen«, sagte er zu Tanzan, »vor allem nicht den jungen und hübschen. Es ist gefährlich. Warum tatest du das?« »Ich ließ das Mädchen dort stehen«, sagte Tanzan, »trägst du sie noch immer?«

4.0 Nicht fern der Buddhaschaft

Ein Universitätsstudent, der Gasan besuchte, fragte ihn: »Haben Sie jemals die christliche Bibel gelesen?« »Nein, lies sie mir vor«, sagte Gasan. Der Student öffnete die Bibel und las aus dem Matthäus-Evangelium: »Und warum sorgt ihr euch um Kleidung? Betrachtet die Lilien auf dem Felde, wie sie wachsen; sie arbeiten nicht und spinnen nicht, und doch sage ich euch: Selbst Salomon in all seiner Pracht war nicht gekleidet wie eine von ihnen. Sorgt euch darum nicht ängstlich um den morgigen Tag, denn der morgige Tag wird für sich selbst sorgen.«

Gasan sagte: »Wer solche Worte aussprach, ist meiner Meinung nach ein erleuchteter Mensch.« Der Student fuhr fort zu lesen: »Bittet, und es wird euch gegeben werden; suchet, und ihr werdet finden, klopfet an, und es wird euch aufgetan werden. Denn wer bittet, empfängt; wer suchet, der findet; wer anklopft, dem wird aufgetan werden.« Gasan bemerkte: »Das ist ausgezeichnet. Wer das sagte, ist nicht fern der Buddhaschaft.«

5.0 Keine Abhängigkeit vom Staub

Zengetsu, ein chinesischer Meister der Tang-Dynastie, schrieb folgenden Rat für seine Schüler auf: In der Welt leben, aber nicht abhängig sein vom Staub der Welt, das ist der Weg eines wahren Zen-Schülers. Wenn du Zeuge der guten Tat eines anderen bist, so ermuntere dich selbst, seinem Beispiel zu folgen. Wenn du von der schlechten Tat eines anderen hörst, so rate dir selbst, ihm nicht nachzueifern. Selbst wenn du allein in einem dunkeln Raum bist, so verhalte dich nicht anders, als befändest du dich vor den Augen eines hohen Gastes. Drücke deine Gefühle aus, aber drücke nicht mehr aus, als deiner wahren Natur entspricht. Armut ist dein Schatz. Tausche sie niemals gegen ein leichtes Leben ein. Ein Mensch kann wie ein Dummkopf erscheinen, aber keiner sein. Vielleicht beschützt er nur sorgfältig seine Weisheit. Tugenden sind die Frucht der Selbstdisziplin und fallen nicht von selbst vom Himmel wie Regen oder Schnee. Bescheidenheit ist die Grundlage aller Tugenden. Lass dich von deinen Nachbarn entdecken, bevor du dich ihnen selbst bekanntmachst. Ein edles Herz drängt sich niemals vor. Seine Worte sind selten wie Edelsteine, nicht oft gezeigt und von großem Wert. Für einen ernsthaften Schüler ist jeder Tag ein Glückstag. Die Zeit vergeht, aber er bleibt niemals hinter ihr zurück. Weder Ruhm noch Schande können ihn bewegen. Tadle dich selbst, aber nie einen anderen. Diskutiere nicht über richtig oder falsch. Manche Dinge werden, obwohl sie richtig sind, Generationen lang für falsch gehalten. Da der Wert der Rechtschaffenheit nach Jahrhunderten anerkannt werden mag, besteht keine Notwendigkeit, sich nach augenblicklicher Anerkennung zu sehnen. Lebe mit Sinn und überlasse dem großen Gesetz des Universums die Ergebnisse. Verbringe jeden Tag in friedvoller Versenkung.

6.0 Fürchte den Regen nicht

Man muss die »Lektion des Platzregens« verstehen. Ein Mann, der unterwegs von plötzlichem Regen überrascht wird, rennt die Straße hinunter, um nicht nass und durchtränkt zu werden. Wenn man es aber einmal als natürlich hinnimmt, im Regen nass zu werden, kann man mit unbewegtem Geist bis auf die Haut durchnässt werden. Diese Lektion gilt für alles.

7.0 Zuschauer sehen mehr als Spieler

Wenn jemand Wahrheit nicht selbst finden kann, gibt es immer noch einen Weg dorthin: andere um Rat zu fragen.
Selbst ein Mann, der niemals hoffen kann, Wahrheit zu erlangen, kann sehr wohl die Angelegenheiten eines anderen analysieren, so wie oft vom Zuschauen beim Go-Spiel gesagt wird: »Zuschauer sehen mehr als Spieler.«

8.0 Der Hundezahn

Es war einmal eine alte Frau, deren Sohn sich den Unterhalt mit Tauschgeschäften in Indien und Tibet verdiente. Der junge Mann wollte sich gerade wieder einer Karawane von Indienreisenden anschließen, als seine Mutter sich mit folgender Bitte an ihn wandte: »Bodh Gaya ist der Ort, an dem der Buddha Gautama Siddharta erleuchtet wurde, deshalb bitte ich dich, mir etwas aus Bodh Gaya (in Indien) mitzubringen. Eine kleine Reliquie vielleicht oder einen Talisman, den ich auf meinen Altar legen und als materielle Repräsentation des Buddhas verehren kann.«
Jahrein, jahraus wiederholte die alte Mutter ihre Bitte, doch der Sohn kam unverrichteter Dinge von jeder Indienreise nach Tibet zurück.
Eines Tages machte der Sohn sich wieder einmal bereit, in das ferne Indien zu ziehen, als die Mutter sagte: »Wenn du diesmal ohne eine Reliquie für meinen Altar aus Bodh Gaya zurückkehrst, bringe ich mich vor deinen Augen ums Leben!« Schockiert von der Intensität, mit der die Mutter diese Worte ausgesprochen hatte, gelobte der Sohn, ihr den Herzenswunsch dieses Mal unfehlbar zu erfüllen.
Nach vielen Monaten hatte er seine Handelsgeschäfte verrichtet und befand sich schon auf dem Weg zum Hause seiner alten Mutter, als ihm plötzlich einfiel, dass er auch dieses Mal vergessen hatte, ihr eine Reliquie aus Bodh Gaya mitzubringen. »Was soll ich machen?« fragte er sich selbst. »Wie ich meine Mutter kenne, bringt sie sich tatsächlich vor meinen Augen um, wenn ich ihr nicht irgend etwas mitbringe.«
Suchend blickte er sich um und sah den vertrockneten Leichnam eines Hundes nicht weit entfernt im Gestrüpp liegen. Hastig brach er dem Hundeschädel einen Zahn heraus und wickelte diesen in ein indisches Seidentuch.
Im Haus seiner Mutter angekommen, präsentierte er dieses Geschenk. »Das ist ein echter Schneidezahn von Gautama Buddha«, erklärte er feierlich. »Ich habe ihn eigens aus den wenigen noch erhältlichen Reliquien in Bodh Gaya für dich ausgewählt«.
Die gute alte Frau glaubte ihrem Sohn und verehrte den Zahn, als sei er eine wahrhaftige Verkörperung des Geistes von Gautama dem Vollkommenen Buddha. Von Stund‘ an vertiefte sie sich so rückhaltlos in ihre Hingabe an den Hundezahn, dass es nicht lange dauerte, bis sie den inneren Frieden fand, nach dem sie ihr Leben lang gesucht hatte.
Es dauerte ebenfalls nicht lange, da sahen auch die Nachbarn und Freunde, dass ein sanftes Regenbogenlicht den Zahn umgab und kaum merkliche Lichtperlen in der Luft um ihn schwebten. Jeden Tag fanden sich nun mehr Leute am Altar der alten Dame ein und wollten die zarte Energie des Zahnes in sich aufnehmen. Als die alte Frau starb, war sie von Regenbogenlichtern umgeben, und ihr Lächeln verriet dem weinenden Sohn, dass sie heimgegangen war in den Urgrund, aus dem alle Dinge kommen.
Seither heißt es, dass jeder simple Hundezahn zur heiligen Reliquie werden kann, aber nur, wenn die Kraft eines empfänglichen Herzens und die Liebe eines Buddhas über diesen Zahn zusammenkommen.

9.0 Der goldene Buddha

Im Herbst 1988 wurden meine Frau und ich zu einer Konferenz nach Hongkong eingeladen, um einen Vortrag über Selbstachtung und Höchstleistungen zu halten. Da wir noch nie im fernen Osten waren, beschlossen wir, unsere Reise auszudehnen und Thailand zu besuchen.
Als wir in Bangkok ankamen, entschieden wir uns, eine Rundfahrt zu den berühmtesten buddhistischen Tempeln der Stadt zu machen. Mit unserem Dolmetscher und Fahrer besichtigten wir an diesem Tag zahlreiche buddhistische Tempel, aber nach einer Weile begannen sie alle in unserer Erinnerung zu verschwimmen.
Es gab jedoch einen Tempel, der einen unauslöschlichen Eindruck in unseren Herzen und Gedanken hinterließ. Er wird der Tempel des goldenen Buddha genannt. Der Tempel selbst ist sehr klein, wahrscheinlich nicht größer als neun mal neun Meter. Als wir hineingingen, machte uns der Anblick eines über drei Meter großen, massivgoldenen Buddhas sprachlos.
Er wiegt zweieinhalb Tonnen und wird auf ungefähr einhundertundsechsundneunzig Millionen Dollar geschätzt! Es war ein ziemlich ehrfurchtgebietender Anblick – der gütig-freundliche, doch imposante massivgoldene Buddha lächelte auf uns herab.
Als wir uns in unsere normalen touristischen Aufgaben vertieften (unter Oh- und Ah-Rufen von der Statue Fotos zu machen), ging ich zu einem Glaskasten hinüber, der ein großes Stück Ton von etwa acht Zoll Dicke und zwölf Zoll Breite enthielt. Neben dem Glaskasten war eine maschinengeschriebene Seite, auf der die Geschichte dieses herrlichen Kunstwerks beschrieben war.

Im Jahr 1957 musste eine Gruppe von Mönchen eines Klosters einen Tonbuddha aus ihrem Tempel an einen anderen Ort umsiedeln. Das Kloster musste umziehen, um Platz für eine Autobahn durch Bangkok zu schaffen. Als der Kran begann, das gigantische Idol anzuheben, war sein Gewicht so gewaltig, dass es zu reißen begann. Darüber hinaus fing es an zu regnen. Das Oberhaupt der Mönche, das über eine Beschädigung des heiligen Buddhas besorgt war, beschloss die Statue wieder auf den Boden herabzulassen und sie mit einer großen Leinwandplane abzudecken, um sie vor dem Regen zu schützen.
Später am Abend ging der Mönch den Buddha nachprüfen. Er leuchtete mit einer Taschenlampe unter die Plane, um zu sehen, ob der Buddha trocken blieb. Als das Licht auf den Riss fiel, bemerkte er, dass ein kleiner Schimmer aufleuchtete, und fand es seltsam. Als er den Lichtschimmer genauer ansah, fragte er sich, ob da etwas unter dem Ton sei. Er ging, um einen Hammer und einen Meißel aus dem Kloster zu holen, und begann, den Ton wegzumeißeln. Als er Scherben von Ton abgeschlagen hatte, wurde der kleine Schimmer leuchtender und größer. Viele Stunden der Arbeit vergingen, bevor der Mönch dem außergewöhnlichen massivgoldenen Buddha Angesicht zu Angesicht gegenüberstand.
Historiker glauben, dass viele hundert Jahre vor der Entdeckung des Oberhauptes der Mönche die burmesische Armee im Begriff war, in Thailand (damals Siam genannt) einzumarschieren. Die siamesischen Mönche wurden sich bewusst, dass ihr Land bald angegriffen werden würde und bedeckten ihren kostbaren goldenen Buddha mit einer äußeren Schicht aus Ton, um ihn vor der Plünderung durch die Burmesen zu schützen. Unglücklicherweise scheint es, dass die Burmesen alle siamesischen Mönche niedergemetzelt hatten, und das wohlgehütete Geheimnis des goldenen Buddhas blieb bis zu jenem schicksalhaften Tag im Jahre 1957 gewahrt.

Als wir mit Cathay Pacific Airlines nach Hause flogen, dachte ich bei mir: »Wir sind alle, wie der Tonbuddha, bedeckt mit einer Hülle aus Härte, die aus Furcht entsteht, und unter der Hülle ist doch jeder ein ›goldener Buddha‹, ein ›goldener Christus‹ oder ein ›goldener Wesenskern‹, der unser wirkliches Selbst ist. Irgendwo auf dem Weg, im Alter zwischen zwei und neun, beginnen wir, unseren ›goldenen Wesenskern‹ zu verdecken, unser natürliches Selbst. Sehr ähnlich dem Mönch mit dem Hammer und dem Meißel, ist es jetzt unser Ziel, unseren wahren Wesenskern neu zu entdecken.«

Die Auswahl der Geschichten erfolgte mit freundlicher Unterstützung von Bernhard Cus, Klemens Löffler, Günther Matula, Irene Monterisi, Barbara Hopfgartner und Natalya Dums (7akb, Okober 2003)

Quellenhinweise: Die Geschichten 1 bis 5 stammen aus: Paul Reps, Ohne Worte – ohne Schweigen, München 1987; Geschichte 6 und 7 aus: Tsunetomo Yamamoto, Hagakure, München 2002; Geschichte 8 wurde dem Buch: Surya Das, Tibetische Weisheitsgeschichten, München 1995, und Geschichte Nr. 9 dem Bestseller: Jack Canfield, Mark Viktor Hansen, Hühnersuppe für die Seele, München 1996 entnommen.